RUSSLAND HEUTE
Heute am 8. März wird weltweit der „Internationale Tag der Frau“ gefeiert, in Russland ist dieser Tag seit 1917 ein gesetzlicher Feiertag. Es werden viele salbungsvolle Reden gehalten, in denen die Rolle der Frau und ihre Bedeutung für die Gesellschaft hervorgehoben werden, und die Männer besorgen spätestens heute noch schnell Blumen, Kosmetika und Schokolade (immer noch die drei beliebtesten Geschenke für russische Frauen).
Frauen in der Politik
Wie es um die Rolle der Frau in der russischen Gesellschaft steht, zeigt ein Blick in die „Liste der 100 führenden Politiker Russlands“, ein Ranking, das regelmäßig von der staatlichen Nachrichtenagentur Rosinformbjuro veröffentlicht wird. Für den Februar 2024 weist diese Liste 95 Männer und 5 Frauen aus. Auf Platz 1 steht natürlich Putin. Die erste Frau findet man auf Platz 15: Elvira Nabiullina, seit 2013 Chefin der russischen Zentralbank, 60 Jahre. Auf Platz 21 folgt Walentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates, 74 Jahre, auf Platz 31 Tatjana Golikowa, stellvertretende Ministerpräsidentin, 58 Jahre. Ziemlich weit hinten gibt es dann auf den Plätzen 63 und 67 noch eine juristische Beraterin des Präsidenten und eine weitere stellvertretende Ministerpräsidentin, 66 bzw. 48 Jahre alt. Das war’s. Weibliche Nachwuchspolitiker? Fehlanzeige.

Wer die ganze Liste sehen will – hier findet man sie: https://www.ng.ru/ideas/2024-02-27/8_8957_100.html
20 Minister und eine Ministerin
Entsprechend „männerlastig“ sieht es in Putins Regierungskabinett aus. Es gibt insgesamt 21 Ministerien, nur einem einzigen steht eine Frau vor: Olga Ljubimowa ist seit 2020 Kulturministerin, ein Ressort, das man nicht nur in Russland traditionell gern Frauen überlässt. Zwischen all den ministeriellen Krawattenträgern auf dieser Übersicht muss man etwas suchen, bis man Frau Ljubimowa als zweite von links in der dritten Reihe findet.

In Putins zweiter Amtszeit gab es von 2004 bis 2007 keine einzige Frau unter den Ministern. Dabei sah es vor gut hundert Jahren noch so aus, als sollte Russland bzw. die Sowjetunion zum Vorreiter der Frauenemanzipation werden. 1917 wurde Alexandra Kollontai die weltweit erste Staatsministerin oder, wie das damals hieß, „Volkskommissarin für soziale Fürsorge“. Danach musste man fast ein halbes Jahrhundert auf die nächste Frau auf einem Ministerposten warten: Jekaterina Furzewa, die von 1960 bis 1974 Kulturministerin unter Chruschtschow und Breschnew war.
Auch unter den Gouverneuren der verschiedenen Regionen Russlands sucht man Frauen mit der Lupe. Momentan gibt es nur eine Frau unter ihnen (von insgesamt 64), das ist Natalija Komarowa, die Gouverneurin des Autonomen Bezirks der Chanten und Mansen in Westsibirien ist.
Die meisten Frauen in hohen Regierungsämtern gibt es – Überraschung! – in der Republik Tschetschenien: Aischat Kadyrowa, Chadischat Kadyrowa, Chedi Kadyrowa und Tabarik Kadyrowa nehmen trotz ihres jugendlichen Alters zwischen 26 und 19 Jahren schon wichtige Posten im Staatsapparat ihres Vaters Ramsan Kadyrow ein. Bald kommen sicher auch noch seine jüngsten Töchter Aschurat und Eset Kadyrowa hinzu (11 und 9 Jahre alt).
„Die Familie als nationale Idee“
Frauen an Schaltstellen der Macht sind zurzeit in Russland nicht gefragt, und mit den politischen Ideen einer Alexandra Kollontai, die das Eherecht liberalisieren wollte und eine kollektive Kindererziehung befürwortete, könnte Putin nicht viel anfangen. Heute sind Frauen vor allem als Mütter vieler Kinder wichtig, denn die bedrohlich niedrige Geburtenrate soll unbedingt erhöht werden. Frauen sollen mit dem ersten Kind auch nicht so lange warten und stattdessen lieber Ausbildung und Studium verschieben – das hatte zumindest letztes Jahr Gesundheitsminister Muraschko empfohlen, dafür in der Öffentlichkeit aber heftigen Gegenwind bekommen.
Vorgestern hielt dann eine Frau, die Vize-Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa, auf dem „Weltfestival der Jugend“ in Sotschi einen Vortrag mit ganz ähnlicher Intention und dem programmatischen Titel „Die Familie als nationale Idee“. Die Reproduktionsphase einer Frau, so sagte sie, sei kurz, und das beste Alter dafür sei vor dem 24. Lebensjahr. Sie rief dazu auf, möglichst früh Kinder zu bekommen.

Weiter führte sie in ihrer an die Jugendlichen gerichteten Rede aus:
„Unser Land war immer stolz auf seine Bevölkerung, und es ist sehr wichtig, dass sie wächst. Das ist eine Schlüsselaufgabe, über die jeder von euch selbständig nachdenken sollte. Der Staat und die Organe der Regierung helfen dabei. Ihr müsst euch gewissenhaft fragen: Wie will ich dieses Leben leben? Denkt daran: Ihr braucht keine Angst vor dem Alter zu haben, wenn euch nahestehende und geliebte Menschen umgeben. Es gibt nichts Wichtigeres als Kinder, die bei euch sein, euch lieben und für euch sorgen werden.“
https://znanierussia.ru/news/semya-kak-nacionalnaya-ideya-tatyana-golikova-poobshalas-s-uchastnikami-marafona-znaniepervye-o-tradicionnyh-cennostyah
Die Ermahnungen von Frau Golikowa, insbesondere ihr Aufruf an die Frauen, schon vor dem 24. Geburtstag mit der „Reproduktion“ der Bevölkerung zu beginnen, kamen nicht überall gut an. In den Kommentarspalten der Zeitungen gab es viele empörte Reaktionen. Hier einige Zitate aus dem Kommentarbereich der Nachrichtenagentur Ria Nowosti:
Leben die in einem komplett anderen Universum? Gebt den Leuten solche Löhne, wie ihr sie selbst bekommt, dann werden sie auch Familien gründen und Kinder bekommen.
Sagt uns doch lieber gleich, dass es ein riesiges Problem mit der Demographie gibt und man mindestens zwei Kinder kriegen soll.
Die Golikowa hat keine Ahnung von der Realität, das kann man nur bedauern, und solche wie sie wollen uns erzählen, was nötig ist. Eins verstehe ich nicht, weiß sie nicht, dass man Kinder nach der Geburt auch noch großziehen muss?
Nur um die Bevölkerungszahl im Land zu halten, muss es in jeder Familie durchschnittlich drei Kinder geben. Um fünf Menschen zu ernähren, muss ein Mann mindestens 50.000 Rubel verdienen. Wo gibt es solche Löhne?
Viele waren erbost darüber, dass diese Ratschläge von einer Politikerin kamen, die zwar verheiratet, aber kinderlos ist. Manche bedauerten sie deshalb auch.
Eine solche Empfehlung würde überzeugender klingen, käme sie von einer Frau – Vize-Premier für soziale Fragen -, die selber Kinder im „richtigen“ Reproduktionsalter geboren hat, d. h., jeder Regierungsbeamte, der die Bürger aufruft, dem russischen Staat zu nützen, sollte seine Empfehlung mit den Worten beenden können: Macht es so wie ich!
Menschlich gesehen tut sie mir leid, auch wenn sie sehr reich ist, aber als Frau hat sie versagt. Sie hat keine eigenen Kinder und wird keine haben! Die Unglückliche!
https://ria.ru/20240306/deti-1931510012.html?in=l
Putins Ansprache zum Frauentag
Wie jedes Jahr zum Weltfrauentag wandte sich Putin auch heute mit einer Ansprache an Russlands Frauen. Die Kernpunkte seiner Rede: Liebe Frauen, ihr seid ganz wunderbare Wesen, vor allem, wenn ihr viele Kinder bekommt und meine Spezialoperation in der Ukraine unterstützt. Oder etwas blumiger in seinen Worten:
Ihr, liebe Frauen, seid fähig, die Welt mit eurer Schönheit, Weisheit und herzlichen Großzügigkeit zu verwandeln, aber vor allem dank der größten Gabe, mit der euch die Natur beschenkt hat – die Geburt von Kindern. Die Mutterschaft ist die wundervolle Vorbestimmung der Frauen. Sie ist schwierig, verantwortungsvoll, aber sie gibt so viel Freude und Glück. (…)
Im Besonderen möchte ich mich an die Frauen wenden, die sich in der Zone der militärischen Spezialoperation aufhalten, dort ihre Aufgaben im Kampf erfüllen, und an die, die gerade von ihren Liebsten getrennt sind, auf unsere Helden warten, sie mit ihrer Liebe, Freude und Unterstützung inspirieren, die mit allen unseren Kämpfern mitleiden, ihnen an der Front, in den Lazaretten und in den zahlreichen anderen Maßnahmen helfen. Ihr beweist jeden Tag aufs Neue, über welche unbezwingliche Kraft ein Frauenherz verfügt, ihr seid ein Vorbild für Standhaftigkeit und für die Überzeugung, dass das Gute und die Wahrheit auf unserer Seite sind.
http://kremlin.ru/events/president/news/73624