Über die russischen Soldaten, die mit schweren Verwundungen aus dem Ukrainekrieg zurückkommen, wird in den inländischen Medien möglichst wenig geschrieben. Und wenn, versucht man, alles als nicht so schlimm darzustellen.
So ging im November 2022 eine vom Verteidigungsministerium lancierte Meldung durch die Zeitungen, russische Ärzte und Techniker des Burdenko-Militärhospitals in Moskau hätten neue bahnbrechende Methoden entwickelt, Knochen- bzw. Knorpelgewebe nach schweren Verletzungen wieder zu aktivieren und zum Wachsen zu bringen:
Die Militärärzte haben eine Methode gefunden, Arme und Beine der Soldaten wiederherzustellen, die Verwundungen durch Minen und Schusswaffen während der Spezialoperation erlitten haben. Wie RIA Nowosti schreibt, erlaubt diese Methode, sogar zerstörte Knochen wiederherzustellen. In Moskau sind schon einige erfolgreiche Operationen mit der neuen Technologie durchgeführt worden, und die Soldaten konnten nach der Behandlung zur Truppe zurückkehren. In einem Fall wurde dem Patienten ein erheblicher Teil des vorderen Schienbeinknochens wieder aufgebaut, ohne den ein Mensch nicht imstande ist zu gehen. Früher konnte man in so einem Fall nur amputieren, jetzt sei der Verwundete innerhalb kurzer Zeit genesen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.
Man suggeriert der Bevölkerung, man habe alles im Griff, nicht einmal abgerissene Gliedmaßen seien ein Grund zur Verzweiflung. „Die russische Medizin schreitet selbstgewiss voran“, so beginnt der oben zitierte Artikel.
Wer so viel Glück nicht hat, soll wenigstens gute Prothesen bekommen. Im Dezember 2022 fanden Beratungen über neue gesundheitspolitische Maßnahmen statt, am 12. Januar 2023 erteilte Putin eine Reihe von Aufträgen an die Regierung bzw. die zuständigen Ministerien, im Einzelnen:
… ein spezielles Zentrum zu schaffen, das für die medizinische Betreuung, Rehabilitation und Sozialisation einschließlich beruflicher Qualifikation und Weiterqualifikation der Teilnehmer an der militärischen Spezialoperation zuständig ist, deren Gesundheit im Laufe der Spezialoperation Schaden genommen hat.
Frist: 1. März 2023
… Vorschläge vorzubereiten und vorzustellen, die die Wehrdienstbefreiung von Prothesenherstellern, Orthopäden und anderen Fachärzten betreffen, die im Zuge der Mobilmachung zum Dienst in den Streitkräften der Russischen Föderation eingezogen wurden.
Frist: 1. Februar 2023
… zu prüfen, wie die Produktion von Prothesen in der Russischen Föderation und die Herstellung ergänzender Produkte und notwendiger Materialien gefördert werden kann, mit dem Ziel, Bürgern, denen Extremitäten amputiert wurden, darunter auch solchen, die im Laufe der militärischen Spezialoperation verwundet wurden, medizinische Hilfsmittel zu garantieren, unter Berücksichtigung des Bedarfs an derartigen Prothesen und der Gewährleistung des erforderlichen Niveaus der Mobilität dieser Bürger.
Ende Februar 2023 brachte die „Komsomolskaja Prawda“ eine Reportage aus einem Trainingszentrum in Alexin (einer kleinen Stadt knapp 200 km südlich von Moskau), in dem normalerweise Sportlerinnen und Sportler für die Paralympics vorbereitet werden. Seit neuestem können hier auch Soldaten, denen Beine oder Arme amputiert werden mussten, eine vierzehntägige Reha machen. Einige Auszüge aus diesem Bericht:
Witalik aus Makejewka war früher Taxifahrer. Beim Sturm auf Mariupol flog ihm eine Mine in die Beine. Drei Tage lag er ohne Bewusstsein, als er wieder zu sich kam, hatte er keine Beine mehr.
„Gott hat mir eine Chance gegeben: Nie wieder stinkende Socken, Witalik“, lacht er. „Ich war mal ein großer Kerl, 1,78 m, jetzt bin ich kleiner geworden – 1,68 m. Man hat mir gute Prothesen gemacht, elastische. Sonst sind es meist starre, mit denen stakst man herum wie ein Reiher. Ein Bekannter hat die Schaltung meines Autos auf Handbedienung umgebaut. Das heißt, ich kann wieder zurück in mein Taxi! Obwohl es mir auch in der Armee gut gefällt. Ich könnte im Militärkommissariat arbeiten oder in der Telefonzentrale.“
Das sportliche Training hat Witalik gefallen. Besonders Volleyball mit den Mädels. Die Paralympiker spielen auf dem Fußboden sitzend, ob man den Ball mit dem Arm oder mit dem Bein abschlägt, ist egal, jeder nimmt, was er zur Verfügung hat. (…)
Witalik in der Reha (Foto: Grigori Kubatjan, kp.ru)
Witaliks Zimmergenosse Sergej kämpft schon seit 2014 bei der Truppe. Er ist 40 und kommt aus der Volksrepublik Donezk. Vor sechs Jahren trat er auf eine „Schwarze Witwe“, eine PMN-Landmine. Die Soldaten dechiffrieren „PMN“ mit einem düsteren Witz als „Prinesite mne nogi“ (deutsch: „Bringt mir meine Beine“, Anm. d. Ü.).
Aber Sergej bekam eine Prothese und kehrte zurück an die Front. „Mariupol habe ich mit Prothese gestürmt. Unsere Unterabteilung hat Asowstal befreit. Ich bin mit dem Auto immer hin und her und habe Verwundete rausgefahren.“
Sergej hilft den anderen Veteranen. Er sagt, es sei gut, dass Russland den Kämpfern der Volksrepublik Donezk denselben Status wie den Soldaten der Spezialoperation gegeben hat, also dieselben Vergünstigungen und Kompensationen. Aber er bedauert, dass das bisher noch nicht für die Freiwilligen gilt, die vor Februar 2022 für den Donbass gekämpft haben.
„Als ich Zugführer war, trat der Kommandant unserer Abteilung auf eine Mine. Sie riss ihm den Fuß weg. Damals dachte ich: Aus, das war’s, für den ist das Leben vorbei. Aber jetzt rennt er wieder durch die Gegend wie ein wilder Eber! Alles hängt vom Menschen selbst ab. Nur 5 % der Kämpfer kapseln sich nach der Amputation von der Umwelt ab und kommen nicht zurück. Für mich hat damit ein neues Leben begonnen. Guck dir diese Jungs an. Da kann doch keiner sagen, die hätten Probleme mit der Psyche oder der Gesundheit.“