RUSSLAND HEUTE

„За верность“ („Für Treue“) gibt es mehr Rubel im Portemonnaie (Bild: www.banki.ru)

Für 50 Ehejahre (und mehr) kann man in einigen Regionen Russlands auf Antrag eine finanzielle Anerkennung erhalten. 19 von insgesamt 83 Regionen gewähren solche Zahlungen, die Bedingungen sind unterschiedlich. Eine Wirtschaftsexpertin erklärt auf dem Nachrichtenportal ria.ru die wichtigsten Regeln, die die treuen Seniorinnen und Senioren beachten müssen.

Die Hauptregel lautet: Man kann die Prämie nur bekommen, wenn die Ehe 50 Jahre oder länger besteht. Und zwar gilt das ausdrücklich nur für amtlich registrierte Ehen. Danach erhalten die Paare dann alle fünf oder alle zehn Jahre weitere Prämien. Die anderen Regeln variieren je nach Region – in St. Petersburg bekommt man für jedes gemeinsam verbrachte Jahr 1000 Rubel, insgesamt erhalten die Jubilare also 50.000 Rubel. In der Region Kaluga ist es weniger – nur 4500 Rubel für die 50 Jahre. In einigen Regionen gibt es Abzeichen oder Medaillen als Anerkennung.

https://ria.ru/20220913/svadba-1816358912.html

50.000 Rubel entsprechen zurzeit etwa 500 Euro. Erschwerend kommt in manchen Regionen hinzu, dass man die ganze Zeit dort registriert gewesen sein muss.

Die Kommentare unter diesem Info-Artikel vom September 2022 sind eher negativ und ungehalten, die als zu gering empfundene Summe wird bemängelt und noch mehr die regional unterschiedlichen Regelungen:

Als ob die Menschen nicht im selben Land wohnten … Sehr ungerecht ist das! Es muss dieselbe Summe für alle geben.

Gibt es denn überhaupt viele solcher Paare? Existiert eine Statistik dazu?

Eine berechtigte Frage – eine solche Statistik konnte ich nicht finden, aber da die durchschnittliche Lebenserwartung russischer Männer nur 64,2 Jahre beträgt (Frauen: 74,8 Jahre), können es so viele Paare nicht sein (Zahlen von 2021, Quelle: laenderdaten.info).

Wegen 4500 Rubel sich fünfzig Jahre lang quälen? Nein, das ist nicht meins.

Wenn man diese Zahlen liest, stehen einem die Haare zu Berge – das ist Russland. Für fünfzig Jahre gemeinsames Leben müsste man jedem Ehepartner fünfzigtausend Dollar zahlen, und wenn es noch drei oder mehr Kinder gibt, noch mal fünfzigtausend obendrauf.

Leben in Russland nur in 19 Regionen Menschen? Sind die in den anderen Regionen keine Menschen? Gebt das Geld entweder allen oder niemandem.

https://ria.ru/20220913/svadba-1816358912.html

Mit solchen Ungerechtigkeiten soll nun ein neues Gesetz aufräumen, das die liberaldemokratische Partei (LDPR) noch vor Ende der Sitzungsperiode in diesem Sommer als Projekt in der Duma vorlegen will. Die Zahlungen soll es nach ihrem Plan dann einheitlich in allen Regionen Russlands geben. Auch die erforderliche Ehedauer soll drastisch gesenkt werden – von 50 auf 20 Jahre. Die „Komsomolskaja Prawda“ berichtet:

Geplant ist, jedem Ehegatten je 20.000 Rubel auszuzahlen, wenn die Ehe zwanzig Jahre Bestand hat. Die Zahlungen sollen nicht einmalig, sondern regelmäßig alle fünf Jahre erfolgen. Die russischen Bürger haben mit Begeisterung auf diese Initiative reagiert und erklärt, dass sie die Fürsorge des Staates für solche starken Familien sehr gut finden. Das zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage, die unsere Website durchgeführt hat.

So erklären 64 % der Befragten, dass sie das Gesetzesprojekt voll und ganz gutheißen, und betonen, wie wichtig es sei, die traditionellen Werte der Familie zu stärken.

„Ich unterstütze das – wobei weniger das Geld wertvoll ist als die Aufmerksamkeit für solche Familien“, sagt ein Teilnehmer der Umfrage.

„Meine Frau und ich sind dafür!“, freut sich ein anderer. „Wir sind schon fünfzig Jahre verheiratet.“

Weitere 12 % sagen, dass man die Prämien doch schon nach zehn Ehejahren zahlen könne. Dann feiere man ja das erste Jubiläum, und das sei doch auch schon eine beachtliche Dauer.

6 % finden es richtig, Familien zu stärken und die Prämien zu jedem runden Hochzeitsdatum auszuzahlen. Und 5 % schlagen sogar vor, der Staat solle den Familien solche Geldgeschenke jedes Jahr machen.

Dagegen sind 13 % der Meinung, dass die Zahlungen überflüssig seien. Nicht im Geld liege das Glück, für dieses Budget könne man auch eine bessere Verwendung finden, und Familien seien auch so glücklich und bräuchten weiter nichts, wenn sie ihre Liebe so lange Zeit erhalten konnten.

„Die Stabilität der Ehe hängt davon nicht ab. Versucht, eine Zeitlang ohne Geld mit einem Menschen zu leben. Dann wird euch schnell alles klar werden“, sagt eine Teilnehmerin der Umfrage.

https://www.kp.ru/daily/27497/4757292/

Auch Soziologen stimmen den Abgeordneten zu:

„Wenn Menschen zwanzig Jahre zusammenbleiben, auch wenn sie nicht ein Herz und eine Seele sind, dann ist das schon eine große Leistung. Bei uns enden in der letzten Zeit zwei Drittel der Ehen mit Scheidung, so dass Paare, die schon zwanzig Jahre zusammenleben, in der Minderheit sind. Sie gilt es zu unterstützen, damit sie eine Mehrheit werden“, erklärte im Radioprogramm der „Komsomolskja Prawda“ Alexander Sinelnikow, Professor für Soziologie, Familie und Demographie mit Lehrstuhl an der Moskauer Universität. „Man muss die Institution Ehe auf jede erdenkliche Weise stärken, weil sie die Basis der Familie ist. Wenn eine Familie nicht auf einer gesetzlichen Ehe beruht, sondern nur auf einer zivilen, dann, so zeigt eine Vielzahl von soziologischen Untersuchungen, zerfallen die Bindungen sehr viel öfter. Die zivile Ehe ist ein unzureichender Ersatz für die gesetzliche Ehe. In solchen Partnerschaften werden viel weniger Kinder geboren, deshalb ist es so wichtig, die gesetzliche Ehe zu stärken.“

https://www.kp.ru/daily/27497/4757234/

Mit „ziviler Ehe“ ist eine Partnerschaft ohne staatliche oder kirchliche Beglaubigung gemeint (unsere „eheähnliche Gemeinschaft“).

In einigen Regionen ist nach fünfzig Jahren Ehe übrigens auch ein Zuschlag auf die Rente möglich (so verkündet es auf dieser Anzeige eine verschmitzt lächelnde Seniorin).

Bild: https://historyclothing.ru/kakie-brand/kakie-vyplaty-polozheny-za-dolgiy-brak.html

Die LDPR beabsichtigt, das neue Gesetz, wenn es denn angenommen wird, ihrem Gründer und früheren Parteivorsitzenden Wladimir Schirinowski (verstorben 2022) zu widmen, „dessen erste und einzige Ehe viele Jahrzehnte dauerte, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten“. So jedenfalls äußerte sich der Fraktionsvorsitzende der LDPR, Jaroslaw Nilow.

Allerdings hätte Schirinowski keinen Anspruch auf die Prämie, denn seine einzige „gesetzliche Ehe“ mit Galina Lebedewa dauerte nur sieben Jahre von 1971 bis 1978, dann ließen die beiden sich scheiden. Beim zweiten Anlauf achtzehn Jahre später, 1996, wurde ihre Ehe nur kirchlich geschlossen und nicht, wie für die Prämie vorgeschrieben, auch standesamtlich registriert. Die angedeuteten „Schwierigkeiten“ bestanden in mehreren weiteren Beziehungen Schirinowskis und mindestens zwei Kindern von zwei anderen Frauen (mit Galina hatte er drei Kinder). Als Vorbild für die so nachdrücklich propagierte eheliche Treue taugt Schirinowski nur sehr bedingt.

Wladimir Schirinowski und Galina Lebedewa, 1971 und ca. 2000