RUSSLAND HEUTE
Die Regenbogenfahne kennt man in der ganzen Welt als farbenfrohes Symbol der LGBT-Community. Vor wenigen Tagen wurde LGBT in Russland als „extremistische Bewegung“ verboten. Darf man nun auch keinen Regenbogen mehr zeigen, weil die Regenbogenfahne als Zeichen einer verbotenen Bewegung gilt? Müssen Bilderbücher ab sofort von Regenbögen gesäubert werden? Darf das Wort „Regenbogen“ noch benutzt werden oder verstößt man damit schon gegen das neue Gesetz?

Der Duma-Abgeordnete Alexander Chinschtejn, Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“, hat die Lösung gefunden: Es gibt, so erklärt er, einen verbotenen, aber auch einen erlaubten Regenbogen. Der verbotene LGBT-Regenbogen hat sechs Farben, wie auf dem Piktogramm unten, wo sich eine den „traditionellen Werten“ verpflichtete Familie mit einem Schirm vor den schädlichen Einflüssen der LGBT-Bewegung schützt. Dieser Regenbogen mit sechs Streifen ist ab sofort geächtet.

Aber unangetastet bleibt der gute traditionelle Regenbogen mit den sieben Spektralfarben, wo es neben Dunkelblau (Indigo) auch noch Hellblau gibt – dieser Bogen ist weiterhin erlaubt. Ein Streifen mehr oder weniger macht den Unterschied. Die „Parlamentskaja Gaseta“, ein von der Föderalversammlung Russlands herausgegebenes offizielles Regierungsblatt, schreibt dazu:
Es ist nicht bekannt, ob die Regenbogenfahne mit sechs Streifen irgendwann von irgendwem festgelegt wurde, aber eben diese gilt als eins der Hauptsymbole der LGBT. Ihre Besonderheit besteht darin, dass in ihrer Farbpalette die Farbe Hellblau fehlt. Nachdem das Gesetz über das Verbot von Gay-Propaganda angenommen wurde, erklärte Alexander Chinschtejn, Vorsitzender des Ausschusses für IT-Fragen in der Duma, dass das Verbot nicht das Wort „Regenbogen“ betreffe und auch nicht den Regenbogen selbst, sofern es sich um den siebenfarbigen Bogen handele.
Der Vizesprecher der Duma, Wladislaw Dawankow, hatte schon am 14. November in der Sitzung der Kammer seine Kollegen gebeten, den Regenbogen für die Kinder zu bewahren und ihn nicht „Minderheiten zur Nutzung zu überlassen“.
https://www.pnp.ru/social/dvizhenie-lgbt-priznali-v-rossii-ekstremistskim.html
Auch ohne die Regenbogen-Frage ist das neue Gesetz problematisch. Der Oberste Gerichtshof Russlands spricht in seiner Erklärung vom 30. November 2023 von einer „internationalen LGBT-Bewegung“, die er als extremistisch einstuft und deren Tätigkeit auf dem Territorium der Russischen Föderation nun verboten ist. Es existiert aber gar keine organisierte Bewegung in Form etwa einer Partei oder eines Vereins, also einer exakt adressierbaren juristischen Person. Daher bedarf es einiger logischer Verrenkungen, um dieses Gesetz halbwegs plausibel zu rechtfertigen oder auch nur zu erklären.
Ein Rechtsanwalt versucht das in einem Artikel, der letzte Woche in dem großen Nachrichtenportal regnum.ru erschien:
Die in Russland gegründeten LGBT-Bewegungen werden von den unfreundlichen Ländern aus koordiniert und finanziert – dieser Meinung ist Alexej Michaltschik, Rechtsanwalt und Mitinhaber der Kanzlei „Michaltschik & Partner“. (…)
„Einerseits ist klar, dass diese Entscheidung im Rahmen eines bestimmten Trends getroffen wurde und den Schutz der traditionellen Werte zum Ziel hat. Eine Agenda, die jetzt bei uns aktiv vorangetrieben wird“, konstatierte Michaltschik. „Andererseits kam es im Verlauf der militärischen Spezialoperation zur Konfrontation mit den Staaten, in denen die besagten Bewegungen eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen und politischen Leben spielen. Und alle in Russland gegründeten Organisationen mit dieser Ausrichtung werden aus unfreundlichen Ländern koordiniert und finanziert. Darauf musste einfach eine Gegenreaktion unseres Staates erfolgen.“
Als Konsequenz aus dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofes werden nun, wie Michaltschik erläuterte, Aktionen, die der Verwaltung und Finanzierung solcher Organisationen dienen, als Straftatbestand gewertet.
„Wie die Praxis zeigt, ist ein formeller Beitritt zu irgendeiner konkreten Organisation für eine Verurteilung nicht erforderlich. Eine Selbstidentifikation als Mitglied der besagten Bewegung, die Teilnahme an von ihr durchgeführten Großveranstaltungen, Projekten und dergleichen dürfte ausreichen. Das kann alles als Beweis dafür herangezogen werden, dass jemand Mitglied dieser Bewegung ist. Plus natürlich Spenden oder eine Tätigkeit als Kontaktperson zwischen den Mitgliedern und die Teilnahme an geheimen Chats“, erklärte der Jurist.
Er unterstrich, dass sich die organisatorische Führung der LGBT-Bewegung im Ausland befinde, wo sie die gesellschaftlichen und politischen Prozesse maßgeblich beeinflusse. Ihre Agenda kontrastiere scharf mit der in Russland praktizierten.
„Die traditionellen Werte stehen in direktem Gegensatz zu den Werten, die die LGBT-Bewegung propagiert. Und zwar auf einer tieferen, ontologischen Ebene. Als Jurist bin ich in jedem Fall für eine legale Lösung der Situation. Ich bin sehr gespannt, was der Oberste Gerichtshof konkret in seiner Entscheidung geschrieben hat. Sie war sicher nicht einfach zu formulieren“, resümierte Michaltschik.
https://regnum.ru/news/3849738
Mit den „unfreundlichen Ländern“ sind alle die Länder gemeint, die die Ukraine unterstützen und Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Der Kreml hat eine offizielle Liste dieser Länder erstellt, die ständig länger wird; inzwischen sind es schon mehr als 50.
Was ist noch erlaubt und welche strafrechtlichen Folgen kann eine Einstufung als Mitglied dieser „internationalen Bewegung“ haben? Dazu schreibt die „Parlamentskaja Gaseta“:
Wenn man jetzt öffentlich über die LGBT-Bewegung redet oder schreibt, muss man immer gleichzeitig den extremistischen Status dieser Bewegung benennen, sagte Alexander Rybaltschenko, Direktor des Instituts für wissenschaftlich-soziale Expertise und Mitglied der Gesellschaftlichen Kammer. Das Wort selbst wie auch das Thema gleichgeschlechtlicher Beziehungen seien aber nicht komplett tabuisiert: „Wir nennen die verbotenen Organisationen und sozialen Netzwerke beim Namen, aber zwingend mit dem Zusatz, dass es sich um Gruppierungen handelt, die eine extremistische Tätigkeit ausüben.“ (…)
Die leichteste Sanktion – eine Geldstrafe bis zu 100.000 Rubel sowie die Konfiszierung des Werkzeuges der Rechtsverletzung – kann für das Zurschaustellen verbotener Symbole verhängt werden. Diese Strafe droht juristischen Personen. Natürliche Personen können mit einem Bußgeld bis zu 2500 Rubel bestraft werden. Dabei kann es sich zum Beispiel um eine Regenbogenfahne handeln, in Analogie zu dem in Russland verbotenen nazistischen Hakenkreuz oder zur Symbolik der ebenfalls verbotenen AUE (eine kriminelle Jugendbewegung, d. Ü.).
Das Strafgesetzbuch der Russischen Föderation enthält folgende „Extremisten“-Paragraphen: Anstachelung zu Hass oder Feindschaft (§282), Aufruf zu extremistischen Taten (§280), Verletzung des Rechts auf Gewissensfreiheit und Religionsausübung (§148). Für den ersten Tatbestand kann man bis zu sechs Jahren Haft bekommen, für den zweiten bis zu drei Jahren und für den letzten bis zu zwei Jahren. (…)
Andererseits ist bis jetzt nicht vollständig klar, wie man die Zugehörigkeit zu dieser Bewegung beweisen will, da es sich ja nicht um eine konkrete Organisation handelt, sondern um einen Gesamtkomplex. Die Juristin (Anastassija Ragulina von der Moskauer Juristischen Kutafin-Universität) mutmaßte, dass man dazu etwa Äußerungen in Medien oder sozialen Netzwerken analysieren könnte.
https://www.pnp.ru/social/dvizhenie-lgbt-priznali-v-rossii-ekstremistskim.html
Das dürften paradiesische Zustände für Spitzel und Denunzianten werden. Und Bilder wie das folgende von einer LGBT-Demo bei Uljanowsk 2018 sind fürs Erste Geschichte. Auch damals bekamen die Demonstranten nach langem Hin und Her keine offizielle Erlaubnis. „Das Sodom von Nowouljanowsk ist abgesagt“, lautete die Schlagzeile in der Zeitung „Argumenty i fakty“. Sie gingen aber trotzdem auf die Straße.
