Eltern prozessieren um Entschädigung für gefallenen Sohn
Nach der allgemeinen gesetzlichen Regelung stehen Soldaten und ihren Familien in Russland verschiedene Versicherungsleistungen und Entschädigungen zu. Im September 2022 hat Putin in einem Erlass eine Reihe von weiteren Vergünstigungen und Entschädigungen für verwundete oder gefallene Teilnehmer an der militärischen Spezialoperation und ihre Familien festgesetzt, Anfang März 2023 wurden diese noch einmal erweitert. In den Genuss der Privilegien und Zahlungen kommen seitdem nicht nur die regulären Streitkräfte, sondern auch die Kämpfer der Freiwilligenkorps und ihre Angehörigen. Die hohen einmaligen Zahlungen bei Tod oder Verwundung sind zusätzliche Zahlungen zu den bisherigen Leistungen (eine Liste der wichtigsten Leistungen habe ich am Ende dieses Beitrags zusammengestellt).
Die vergleichsweise hohen einmaligen Zahlungen an die Familien gefallener Soldaten führen inzwischen nicht selten zu Streitigkeiten, denn die Summe muss laut Gesetz zu gleichen Teilen unter den Familienmitgliedern (Eltern und Ehepartnern) aufgeteilt werden.
In Samara wird zurzeit ein solcher Streit zwischen den Eltern eines gefallenen Soldaten vor Gericht verhandelt, ist jetzt schon in die dritte Runde gegangen und vor dem Kassationsgericht gelandet.
Unter dem Titel „Millionen stehen auf dem Spiel“ berichtete die regionale Internetzeitung über den Fall:
Am Donnerstag, dem 30. März, begann vor dem Sechsten Kassationsgericht die Verhandlung eines ungewöhnlichen Falles. Zwei ehemalige Ehepartner prozessieren darum, wem die Entschädigungen gezahlt werden sollen, die für die Familie beim Tod eines Sohnes in der militärischen Spezialoperation festgesetzt sind.
Das 2019 eröffnete Kassationsgericht in Samara, Foto: 63.ru
Die aus Samara stammenden Eltern sind schon seit vielen Jahren geschieden. Ihr Sohn D. fiel am 25. Mai 2022 bei der militärischen Spezialoperation. Die Mutter des Soldaten besteht darauf, dass die Entschädigungen nur ihr zustehen. Der Vater ist anderer Meinung: Er ist überzeugt, dass auch er ein Recht auf das Geld hat.
Die fragliche Summe ist nicht unbeträchtlich. Es handelt sich um verschiedene Formen materieller Unterstützung durch den Staat: zwei einmalige Zahlungen in Höhe von 4,4 Millionen Rubel bzw. 5 Millionen Rubel (gemäß Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation) sowie um eine Versicherungsleistung in Höhe von 2,9 Millionen Rubel.
Der Streit der früheren Eheleute wurde zunächst vor dem Industriebezirksgericht verhandelt. An dieses Gericht hatte sich die Mutter des gefallenen Kämpfers mit einer Klage auf Aberkennung des Rechts auf Entschädigung gewandt.
„Die Eheleute waren im Januar 1991 die Ehe eingegangen. Aber im März desselben Jahres warf der Ehemann seine Frau aus dem Haus. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Frau im zweiten Monat der Schwangerschaft. Eine Zeitlang wohnte sie in einer gemieteten Wohnung und ging zur Arbeit, aber dann zog sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes zu ihren Eltern. Am 21. Oktober 1991 wurde der gemeinsame Sohn geboren“, heißt es im Urteil des Industriebezirksgerichts.
Die Klägerin beharrte darauf, dass ihr Ex-Mann an der Erziehung des Kindes nicht beteiligt war. Es ging dabei nicht nur um den Kontakt zu dem Sohn im schulpflichtigen Alter, sondern auch während seines Studiums am Kadettenkorps, am Technikum und an der Universität sowie während der Wehrdienstzeit.
Die Mutter berichtete dem Gericht, dass ihr Ex-Mann nicht einmal wusste, dass sein Sohn an der militärischen Spezialoperation teilnahm und dort fiel. Mehr noch, der Vater kam auch nicht zur Beerdigung.
„Die Militärkommissarin des Industriebezirks, Jelena Tschernikowa, übergab das Dokument mit der Benachrichtigung vom Tod des jungen Mannes seiner Mutter, die Daten des Vaters hatte diese nicht. Als der Vater des Armeeangehörigen von dessen Tod erfuhr, ging er zum Militärkommissariat, nahm dort die amtliche Benachrichtigung in Empfang, und man erläuterte ihm seine Rechte auf Entschädigung. Dabei fragte der Mann nicht, wie sein Sohn umgekommen war und wie er begraben werden sollte. Mit dem Begräbnis befassten sich das Militärkommissariat und die Mutter des Kämpfers“, steht in den Akten des Falls. (…)
Weiter heißt es: „Im Vorfeld des Prozesses war der Vater noch bereit, auf die vorgesehenen Zahlungen zu verzichten, da er D. nie als seinen Sohn betrachtet hatte. Aber schon in der Kanzlei des Anwalts, als man dem Mann die Höhe der Kompensationen mitteilte und ihm die Summen genauer auseinandersetzte, erklärte er, er werde auf das Geld nicht verzichten.“
Deshalb wandte sich die Mutter des gefallenen Soldaten an das Gericht, um zu verhindern, dass ihr Ex-Mann eine Entschädigung für den toten Sohn erhielt.
„Dem Vater“, heißt es im Gerichtsurteil weiter, „kann das Recht auf den Erhalt von Zuwendungen und Zahlungen verweigert werden, wenn er sich der Erfüllung seiner Verpflichtungen entzogen hat: sich nicht an der Erziehung beteiligt und keine materielle Unterstützung geleistet hat, wozu auch Alimente gehören.“
Die Auffassung der Mutter bestätigten vor Gericht mehrere Zeugen. Die Frau teilte dem Gericht auch mit, dass der Vater die Alimente nach der Scheidung nicht in vollem Umfang gezahlt und er sich ihr gegenüber sogar verschuldet habe.
Der Beklagte bestand darauf, dass er die Alimente ordnungsgemäß bezahlt habe. Wie er sagte, sei ihm die festgesetzte Summe vom Arbeitslohn abgezogen worden. Wenn sich dennoch Verschuldungen ergeben hätten, seien diese zügig ausgeglichen worden.
„Dem Vater sind die Elternrechte nicht entzogen worden. Im Jahr 2006 wohnte D. etwa vier Monate lang bei ihm, als er sich auf den Eintritt ins Kadettenkorps vorbereitete. Im Jahr 2007, als der junge Mann bei den Großeltern väterlicherseits zu Gast war, stahl er ihnen einige Sachen. Danach fuhr er nicht mehr zu seinen Verwandten, weil er sich schämte. Aber der Vater brach den Kontakt zum Sohn trotzdem nicht ab. Wenn der Junge Probleme in der Schule oder mit Freunden hatte, bemühte er sich, diese zu lösen. Einmal verprügelte der Vater sogar einen Mann, der sein Kind beleidigt hatte. Außerdem führte er mit ihm ein erzieherisches Gespräch, als D. sich lange Haare wachsen ließ, brachte ihn zum Friseur, erklärte ihm die Benimmregeln. Alles das ist durch Fotos belegt“, heißt es in den Unterlagen des Gerichts. „Zudem hat die Mutter nicht nur niemals verlangt, dem Beklagten die elterlichen Rechte zu entziehen, sondern sie hat ihren ehemaligen Mann sogar um Hilfe bei der Erziehung gebeten.“
Um seine Sicht der Dinge zu unterstützen, holte der Vater des gefallenen Kämpfers ebenfalls Zeugen vor Gericht. Sie erzählten, dass D. oft bei seinem Vater zu Hause erschienen sei, unter anderem während seiner Ausbildung am Kadettenkorps. Und der Mann sei wiederholt zusammen mit seinem Sohn im Gagarin-Park spazieren gegangen.
Letztendlich stellte sich das Bezirksgericht auf die Seite des Vaters. Nach Auffassung des Gerichts hat der Mann das gleiche Recht auf die Entschädigungszahlungen wie die Mutter.
Die Mutter des gefallenen Soldaten war mit diesem Ausgang der Sache nicht einverstanden. Sie ging in Berufung. Ende November wurde die Entscheidung der ersten Instanz aufgehoben.
Jetzt versucht der Vater, den Streit fortzusetzen. Seine Klage ging ans Sechste Kassationsgericht allgemeiner Rechtsprechung. Die erste Sitzung fand am 30. März statt. (…)
Mitte April sollen die Anhörungen fortgesetzt werden.
Am 14. April berichtete die Zeitung, das Kassationsgericht habe die Entscheidung der vorherigen Instanz bestätigt, dass das Geld der Mutter zustehe. Dem Vater bleibt jetzt als letztmögliche Instanz nur noch der Oberste Gerichtshof Russlands.
Entschädigungen und Privilegien
Liste der finanziellen Entschädigungen und wichtigsten Privilegien für Teilnehmer der militärischen Spezialoperation (reguläre Soldaten und Angehörige der Freiwilligenkorps):
während der Armeezeit
Garantie des früheren Arbeitsplatzes
automatische Verlängerung von Krediten
Stopp von laufenden Gerichtsverfahren
Verlängerung von Zahlungsfristen für Geldstrafen und Schulden (ausgenommen Alimente)
bei Tod oder Invalidität kompletter Erlass von Schulden
nach der Demobilisierung
zusätzliche einmalige Zahlung eines doppelten Monatssoldes
rechtliche Gleichstellung mit den Veteranen des 2. Weltkrieges
monatliche Rente (ca. 45 Euro)
kostenloser Transport im ÖPNV
bei Invalidität je nach Grad der Behinderung eine staatliche Rente von 12.100 bis 20.800 Rubel (ca. 135 bis 230 Euro)
Erlass der Vermögenssteuer auf Wohneigentum
zeitlich frei wählbarer Urlaub sowie auf Wunsch zusätzliche 35 (unbezahlte) Urlaubstage
freier Zugang zu allen Hochschulen Russlands ohne vorherige Aufnahmeprüfung
für die Familienmitglieder
einmalige Zahlung bei Verwundung/Invalidität („Wegfall des Ernährers“) von 3 Millionen Rubel (ca. 33.000 Euro)
einmalige Zahlung bei Tod von 5 Millionen Rubel (ca. 55.000 Euro)
eine monatliche Rente für Angehörige von Gefallenen und Vermissten
60 % Rabatt auf kommunale Abgaben
60 % Rabatt auf die erstmalige Installation von Elektro- und Sanitäranlagen
60 % Rabatt auf die Einrichtung eines Telefonanschlusses
für jedes Kind einen monatlichen Extra-Zuschuss (ca. 30 Euro), außerdem erleichterter Zugang zu Hochschulen