Die skandalöse Party

Um den Jahreswechsel 2023/2024 stand in den russischen Medien wochenlang ein Thema in den Schlagzeilen und wirkt bis jetzt nach: die sogenannte „Nacktparty“ („голая вечеринка“), veranstaltet von der Videobloggerin und TV-Moderatorin Anastasija (Nastja) Iwlejewa im Moskauer Club „Mutabor“. Auf den Einladungen zu ihrer Party hatte sie als Dress-Code „fast nackt“ angegeben. Zahlreiche Prominente aus dem Showbusiness nahmen teil. Als Fotos von den sehr leicht bis fast gar nicht bekleideten Partygästen via Social Media an die Öffentlichkeit drangen, gab es einen Aufschrei der Entrüstung – zunächst von Seiten der patriotischen Militärblogger, die ein solches „Event“ in Zeiten des Krieges als Verrat bezeichneten. Das wurde schnell von Politikern und Medien aufgegriffen und verstärkt. Man beschuldigte Veranstalter und Teilnehmer des Drogenmissbrauchs, der LGBT-Propaganda und des „Extremismus“ und forderte eine juristische Untersuchung. Zu den heftigsten Kritikerinnen und Kritikern gehörten – wenig überraschend – der TV-Moderator und Kreml-Propagandist Wladimir Solowjow, die Vorsitzende der „Liga für ein sicheres Internet“ Jekaterina Misulina und der Filmregisseur Nikita Michalkow, der auf seinem (mittlerweile blockierten) YouTube-Kanal „Besogon“ („Teufelsaustreiber“) seit Jahren tatsächliche oder vermeintliche Verstöße gegen die „traditionellen Werte“ anprangert.

Der zerknirschte Star

Der bekannteste Partygast war Filipp Kirkorow , ein Superstar des russischen Showbusiness, seit Jahrzehnten als Sänger und Moderator im Fernsehen omnipräsent, ein extravaganter Paradiesvogel, der bisher nach dem Prinzip „auffallen um jeden Preis“ gelebt hat. Sein protziger Lebensstil, allerlei Skandale und selbst die ambivalente Sexualität (2021 erschien er bei einer Preisverleihung hochzeitlich gewandet mit einem Freund als seinem „Bräutigam“ – wie ernst das gemeint war, blieb offen) hatten ihm bisher nicht geschadet, eher im Gegenteil.

Filipp Kirkorow, Foto von der Website des Internetportals 1rre.ru

Nun musste er zu seinem Schrecken konstatieren, dass der Wind sich gedreht hat und die Zeiten andere sind. Seine Auftritte in einer bereits produzierten Silvestershow wurden nachträglich herausgeschnitten, in einer Petition wurde gefordert, ihm den Titel „Russischer Volkskünstler“ abzuerkennen, der Jury-Vorsitz in der beliebten Show „Maska“ (die russische Version von „The Masked Singer“) sollte ihm genommen werden, außerplanmäßige Steuerprüfungen wurden ihm angedroht. Er entschloss sich zur Flucht nach vorn, trat im Fernsehen mit einer Erklärung und Entschuldigung auf und versicherte, er sei nur wenige Minuten auf der Party gewesen, habe sich eigentlich nur „in der Tür vertan“.

Letzte Woche begab er sich nun auf eine Art Büßerwallfahrt in den Donbass, trat dort vor Soldaten auf und verteilte Geschenke. Die „Komsomolskaja Prawda“ begleitete ihn auf seiner Reise. Die erste Station war ein Krankenhaus für verwundete Teilnehmer der „Spezialoperation“ in Gorlowka (ukrainisch Horliwka). Die Zeitung schreibt:

Seinen Besuch im Donbass hatte Kirkorow nicht angekündigt. Bis zu der skandalösen Party der Iwlejewa, die im ganzen Land Aufsehen erregte, hat sich der Sänger in diesen Gegenden nicht blicken lassen. Dies ist seine erste Reise dorthin. Strass und Straußenfedern ließ er zu Hause, war bescheiden ganz in Schwarz gekleidet. Er besuchte die Traumatologie-Abteilung, unterhielt sich mit verwundeten Soldaten. Er erzählte viel von seiner Familie, seinen Gedanken. Sagte, er bete für die Jungs.

„Das ist mein Land, meine Heimat. Ich habe nicht vor, irgendwohin auszureisen, ich lebe hier. Das war bisher so und das wird so bleiben. Ich habe hier ein Haus, Kinder und Bedros, meinen Papa. Das Gefühl, dass ihr uns schützt, ist sehr wichtig für mich“, sagte Kirkorow den Soldaten.

Kirkorow mit der Chefärztin des Krankenhauses, Foto: kp.ru

Anschließend sang er im Krankenhaus zwei seiner Lieder.

„Er hat ‚Schnee‘ und ‚Grausame Liebe‘ gesungen. Natürlich haben alle mitgesungen – die Soldaten genauso wie die Mitarbeiter, das war sehr rührend“, erzählt die Chefärztin des Krankenhauses. „Er hat gute und notwendige Geschenke verteilt und vor allem – er hat sich persönlich mit drei Soldaten zusammengesetzt, die Prothesen brauchen, hat versprochen, ihnen zu helfen, und hinzugefügt: ‚Ich stehe zu meinem Wort.‘ Er hat auch noch gesagt, dass wir ein heldenhaftes Volk sind und dass die Begegnung mit uns ihm viel bedeutet. Kirkorow ist ein sehr ernsthafter und anständiger Mensch, mitfühlend und gütig. Er war über eine Stunde bei uns, und die ganze Zeit war der Umgang mit ihm sehr einfach und angenehm.“

Der Sänger brachte Computer, Drucker, Klimaanlagen und andere technische Geräte für das örtliche Kinderzentrum mit.

https://www.donetsk.kp.ru/daily/27566/4890864/

Kirkorows Familie, von der er bei seinem Besuch im Krankenhaus erzählt hat, entspricht allerdings gar nicht dem erwünschten „traditionellen“ Leitbild. Sie besteht aus ihm selbst, zwei Kindern, die von Leihmüttern ausgetragen wurden und mit denen er sich gern für Homestories fotografieren lässt, sowie seinem Vater Bedros und dessen zweiter Frau. Verheiratet war der 1967 geborene Sänger nur einmal, von 1994 bis 2005 mit seiner achtzehn Jahre älteren Kollegin Alla Pugatschowa (ihr vierter Ehemann). Dafür war er aber politisch immer auf der richtigen, also Putins, Seite, er unterstützte den Ukrainekrieg, trat in Belarus für Lukaschenko auf und wurde 2017 von Putin mit dem „Orden der Ehre“ ausgezeichnet.

Putin und Kirkorow bei der Ordensverleihung im Kreml, Foto: www.kremlin.ru

Die untergetauchte Bloggerin

Weniger nachsichtig als über Kirkorow berichtete die „Komsomolskaja Prawda“ über die Videobloggerin, die die Party organisiert hatte. „Die von allen vergessene Nastja Iwlejewa hat vor, in die Volksrepublik Donezk zu fahren, um ihre Sünden zu sühnen: Ob die Menschen ihr verzeihen?“ lautete die Überschrift des Artikels, und die Frage wurde sogleich im Untertitel beantwortet: „Militär- und Zivilpersonen der Volksrepublik Donezk protestieren in einer Videobotschaft gegen den Besuch von Iwlejewa“. Weiter heißt es:

Heute tauchte die Information auf, dass nach Kirkorow auch Nastja Iwlejewa in die DNR reisen will. Der Grund ist derselbe – sich reinzuwaschen und die Schuld nach der von Iwlejewa im letzten Dezember organisierten berüchtigten Party wiedergutzumachen. Die Nachricht erreichte auch die Einwohner der Republik Donezk, die sich kategorisch gegen einen Besuch Nastjas aussprachen und ihr empfahlen, ihren Koffer zu packen und nach Israel zu gehen. (…)

Alle diese Leute, erklärten sie, hatten zehn Jahre Zeit für einen solchen Besuch, aber vor dem bekannten Ereignis hat sich niemand darum gerissen …

„Aus Gründen, die jeder kennt, wollen Sie unbedingt Ihre Reputation reinwaschen und uns gerade jetzt besuchen. Aber die Volksrepublik Donezk ist keine Wäscherei für irgendwelche ausgeflippten Outsider – anders kann man die Menschen, die an diesen Bacchanalien teilgenommen haben, nicht nennen – , die ihre Ehre beschmutzt haben. Solche Leute dürfen die Situation, die im Südosten der Ukraine entstanden ist, nicht ausnutzen. Nicht weil ihr Herz sie ruft, sondern aus eigensüchtigen Publicity-Gründen wollen sie die Zone der Kampfhandlungen mit ihren erbärmlichen Almosen besuchen – das darf nicht sein. Wir sind gegen solche Partys, wir sind gegen Iwlejewa. Koffer – Bahnhof – Israel.“ Mit diesen Worten wandten sich die Bürger der DNR an die Bloggerin und an die Öffentlichkeit.

Wir erinnern daran, dass Nastja Iwlejewa nach der Bacchanalien-Party untergetaucht ist. Man weiß nur, dass sie sich in der Nähe von Petersburg aufhält, wo ihre Verwandten leben. Wie viele andere, die an diesen Bacchanalien teilgenommen haben, hat Iwlejewa ihre Arbeit verloren – alle großen Werbeagenturen haben die Verträge mit ihr aufgelöst. Übrigens dürfte Nastja, die bis Ende 2023 sehr gut verdient hat, genug Ersparnisse angehäuft haben, um diese schwere Zeit in Ruhe „auszusitzen“.

https://www.kp.ru/daily/27571.5/4895078/

Der Ausdruck „Bacchanalien“ scheint ein neues Lieblingswort für alles zu werden, was nicht zu den „traditionellen Werten“ passt. Patriarch Kyrill bezeichnete kürzlich sogar den harmlosen Valentinstag so (siehe meinen Post vom 14. Februar).

Nastja Iwlejewa, die hier so giftig angegangen wird, entschuldigte sich schon am 24. Dezember öffentlich und versprach, alle Einnahmen aus der Party für wohltätige Zwecke zu spenden. Sie wurde außerdem zu einer Geldstrafe verurteilt.

Screenshot eines Artikels aus der Online-Zeitung Businessman.ru

Das obige Foto mit dem dazugehörigen Artikel erschien vor vier Jahren, als Nastja Iwlejewa noch als Star der russischen Blogger- und Influencer-Szene gefeiert wurde. Der Text lautet übersetzt: „Die First Lady des Runet: Wie Nastja Iwlejewa, ein Mädchen vom Lande, sich in eine Bloggerin mit zwanzig Millionen Followern verwandelte“.