In Petersburg erkennen jetzt Kameras die Nationalität

Wie mehrere russische Zeitungen und Online-Medien berichten, sind in Petersburg jetzt Überwachungskameras im öffentlichen Raum mit einer neuen Technik ausgerüstet worden. Die Lokalzeitung spbdnevnik.ru brachte am 25. August 2025 einen Artikel unter der Überschrift: „In Petersburg sind Kameras in Betrieb genommen worden, die Nationalitäten erkennen können. Das hilft der Polizei, Ansammlungen von Migranten aufzuspüren und ‚Gummiwohnungen‘ ausfindig zu machen.“

Screenshot von der Website spbdnevnik.ru

„Gummiwohnungen“ (russisch „резиновые квартиры“) nennt man in Russland Wohnungen, für die Dutzende und mehr Menschen registriert sind, ohne dort tatsächlich zu wohnen. Es sind überwiegend illegale Migranten, die sich eine solche Adresse kaufen (tatsächlich aber woanders untergeschlüpft sind), weil sie für eine Arbeitserlaubnis eine offiziell registrierte Adresse vorweisen müssen. Für die Vermieter ist das ein illegales, aber äußerst lukratives Geschäft – das allerdings immer härter bestraft wird, wenn es auffliegt; bis zu drei Jahre Gefängnis können dafür verhängt werden.

Die Zeitung berichtet weiter:

Bei der ersten Lesung des Petersburger Haushaltes für 2026-2028 erörterte man die Arbeit von Kameras mit der Funktion, die ethnische Zugehörigkeit von Passanten festzustellen.

„Wir verfügen unter anderem über eine Technik, die verschiedene Gruppen von Rassen und Nationalitäten analysiert. Sechs Gruppen. Auf diese Weise können wir erkennen, an welchen Stellen in der Stadt sich bestimmte Nationalitäten konzentrieren. Die Polizei kann dann entsprechende Beschlüsse fassen“, erklärte Igor Nikonow, stellvertretender Chef des Komitees für Digitalisierung und Kommunikation.

Mit Hilfe der Kameras könne die Polizei Ansammlungen von Migranten aufspüren und „Gummiwohnungen“ ausfindig machen. Wie Igor Nikonow hinzufügte, könnten die insgesamt 50.000 Kameras zwar die ethnische Zugehörigkeit bestimmen, aber noch sei es zu früh, über konkrete Ergebnisse zu sprechen.

„Eine Statistik zur Aufdeckung von Straftaten werden wir erst am Jahresende vorlegen“, sagte Nikonow.

Ergänzt sei, dass die Kameras nicht die konkrete Nationalität feststellen können. Sie erkennen aber, ob jemand aus dem Kaukasus oder aus ostasiatischen und mittelasiatischen Regionen kommt, außerdem Europäer, Asiaten und Vertreter der negroiden Rasse.

Derart ausgerüstete Kameras machen knapp die Hälfte der rund 120.000 in Petersburger Straßen installierten Überwachungskameras aus.

Screenshot von der Website nazaccent.ru: „In St. Petersburg haben Kameras zur Videoüberwachung ihre Arbeit aufgenommen, die die Nationalität der Passanten erkennen. Das wurde bei der ersten Lesung zum städtischen Budget für 2026-2028 bekanntgegeben.“

Vergeblicher Protest des Menschenrechtsrates

Die Idee dazu war erstmals im Februar 2025 aufgekommen. Damals berichtete der „Kommersant“ darüber:

Die Verwaltung von St. Petersburg informiert über eine technische Neuerung: achttausend Videokameras sollen zur Ermittlung der „ethnischen Identität“ eingesetzt werden. Die Behörde erklärte, es sei beabsichtigt, mit Hilfe der Kameras Migranten und die Orte, an denen sie konzentriert wohnen, zu beobachten. Der „Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten“ bezeichnete den Plan der Behörde, Menschen durch eine Kamera ethnisch zu identifizieren, als „Verletzung der Menschenwürde“.

Den Menschenrechtsrat gibt es seit 2004, leider ist er in den letzten Jahren immer bedeutungsloser geworden. Anfangs gehörten ihm so mutige und streitbare Leute wie Oleg Orlow von „Memorial“ oder die mehrmals für den Friedensnobelpreis vorgeschlagene Swetlana Gannuschkina an. 2014 hat der Rat noch die Rechtmäßigkeit des Referendums für den Anschluss der Krim an Russland angezweifelt und von Wahlfälschung gesprochen. Aber diese Zeiten sind lange vorbei.

Und so ist es wenig erstaunlich, dass die Kritik des Menschenrechtsrates ungehört verhallt ist und statt der angekündigten achttausend nun sogar fünfzigtausend Kameras in Betrieb genommen wurden.

Migranten als Sündenböcke und Blitzableiter

Die neue Maßnahme richtet sich vor allem gegen die Arbeitsmigranten aus den armen mittelasiatischen Ländern und früheren Sowjetrepubliken Tadschikistan, Turkmenistan, Kirgisistan, Usbekistan. Diese Männer, die zu Hause keine Arbeit finden, um ihre Familien zu ernähren, machen die schweren und schmutzigen Arbeiten bei der Straßenreinigung und auf dem Bau, viele sind auch als Taxifahrer tätig. Große Bereiche bleiben ihnen allerdings verschlossen: Sie dürfen nicht in staatlichen Behörden arbeiten, in den meisten Städten und Gebieten auch nicht in der Gastronomie, im Einzelhandel, in den Bereichen Kultur, Freizeit, Sport. Diese faktischen Berufsverbote wurden in letzter Zeit immer mehr ausgeweitet, übrig geblieben sind die Jobs, die sonst keiner machen will.

Die Arbeitsmigranten kosten den russischen Staat keine Kopeke, im Gegenteil werden sie dringend gebraucht. Trotzdem hat man sie seit geraumer Zeit im Visier und missbraucht sie als eine Art Sündenbock oder Blitzableiter für die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit anderen Dingen, stellt sie als gefährlich, asozial, kriminell dar. Der Terroranschlag auf die Crocus City Hall in Moskau im März 2024, für den mehrere Tadschiken verantwortlich gemacht und verurteilt wurden, hat diese Tendenz noch erheblich verstärkt.

Migranten in den Medien

Auf dem großen russischen Internetportal dzen.ru, wo fast alle Medien Russlands ihren eigenen Kanal haben und auch unzählige private Blogger unterwegs sind (ein Querschnitt durch die russische Medienlandschaft), habe ich probeweise mal das Stichwort „мигранты“, also „Migranten“, in die Suchfunktion eingegeben. Das Ergebnis war erschreckend – Hunderte und Aberhunderte von reißerischen Negativ-Schlagzeilen und Fotos, nur ganz vereinzelt neutrale, so gut wie keine positive.

Einige von vielen ähnlich lautenden Überschriften seien zitiert. Sie stammen nicht von privaten Blogs, sondern aus regionalen und überregionalen Zeitungen (Nowosti Wolgograda, Wetschernjaja Moskwa, Komsomolskaja Prawda) und vom TV-Sender Zargrad.

  • Zu fünft gegen einen: Arbeitsmigranten fallen über einen Passanten in Tscheljabinsk her.
  • Migranten reißen die Herrschaft in Dörfern und Siedlungen an sich.
  • 1200 Illegale festgenommen: In Wolgograd wurde ein Netzwerk für fiktive Registrierungen von Migranten aufgedeckt.
  • Wer stopft sich die Taschen mit dem Import von Migranten voll?
  • 70 % der Erstklässler sind Migranten: Die Lehrer sind fassungslos, die Kinder gestresst.
  • „Jetzt schlage ich dieser Oma ins Gesicht“: In Tjumen wollte ein Migrant der Generation Z vor der Kamera eine Rentnerin zusammenschlagen, um vor seinen Freunden mit seiner „Kraft“ zu prahlen.

Der letzte Artikel ist mit einem offensichtlich gestellten Foto garniert:

Screenshot von dzen.ru / BloknotRu

Gepostet wurde dieser Artikel und das Foto von der Internetzeitung BloknotRu, die laut eigenen Angaben 198.000 Abonnenten hat.

Den Preis für den absurdesten Beitrag über böse Migranten hat sich aber die „Moskauer Abendzeitung“ („Вечерняя Москва“) verdient. In einem Artikel vom Juli 2025 beklagt sich dort Irina Dudorowa, stellvertretende Vorsitzende des „Veteranenverbandes der Spezialoperation / Region Lipezk“, bitterlich über ihre Nachbarn, illegale Migranten aus Tadschikistan. Die Hammelherde der Tadschiken sei auf ihr Grundstück eingedrungen und habe dort alle Kartoffeln und alles Gemüse weggefressen – Gemüse, aus dem sie Suppen für die Kämpfer der Spezialoperation kocht, in Konserven abfüllt und als humanitäre Hilfe an die Front schickt. „Siegessuppen“ („победные супы“) heißen diese Konserven bei ihr.

Screenshot von dzen.ru / Wetschernjaja Moskwa: „Eine Frau aus Lipezk erklärte, dass die Hammel ihrer Migranten-Nachbarn ihr Gemüse für die Kämpfer der Sepzialoperation aufgefressen hätten.“

Zur schwierigen Situation der Arbeitsmigranten in Russland habe ich vor zwei Jahren schon einmal Materialien und Zahlen zusammengetragen, siehe hier und hier. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert.