Eine Fernsehsendung

Im Ersten Kanal des russischen Fernsehens läuft seit März 2022 eine Reihe von jeweils halbstündigen Sendungen namens „AntiFake“ („АнтиФейк“), die gegen gefälschte Informationen vorgehen und zeigen will, wie solche „Fakes“ hergestellt werden. Im Format einer Talkshow mit Experten im Studio und zugeschalteten Reportern und Gästen diskutiert der Moderator Alexander Smol verschiedene Fälle von sogenannten Fakes. Im Januar begann eine neue Staffel.

Screenshot von der Website des Ersten Kanals: „AntiFake. Wie man Lüge von Wahrheit unterscheidet.“

Der Sender stellt auf seiner Homepage das Programm mit folgenden Worten vor:

Der Westen bedrängt Russland mit tierischem Hass. Videos, die eine Flut von Emotionen hervorrufen, können in Wahrheit seelenlos und zynisch fabrizierte Fakes sein. Wie kann man die Lüge von der Wahrheit unterscheiden? Die Experten von „AntiFake“ kennen sich aus. (…)

Wer stellt solche Fakes her und mit welchem Ziel? Wie bringt man uns mit ihrer Hilfe dazu, panisch zu werden und unüberlegte Dinge zu tun? Was ist mentale Hygiene, und wie hilft sie, den Tsunami der Lüge abzuwehren, der uns überschwemmt?

Ein Informationskrieg ist im Gange, Desinformationen werden verbreitet, um die Situation im Land zu destabilisieren. Eine Welle von Fakes über die Spezialoperation in der Ukraine schwappt durch die sozialen Netzwerke, Telegram-Kanäle, Mails und Massenmedien. Jeder, der versucht, etwas über den Verlauf der militärischen Operation Russlands in der Ukraine zu erfahren – ob er nun ins Internet geht, eine Messenger-App öffnet oder elektronische Post liest -, stößt auf widersprüchliche Informationen.

Ziel der Sendereihe ist es, zu erklären, wie diese Industrie organisiert ist, wer die Fakes produziert, wie man lernen kann, sie zu durchschauen und objektive Informationen zu finden. Im Studio sind neben dem Moderator Experten für Cybersicherheit und soziale Medien, Militärexperten und andere Fachleute. Über Skype werden Gäste aus anderen Ländern zugeschaltet sowie Kriegskorrespondenten aus den Republiken Donezk und Lugansk und die Autoren von Videos und Fotos, die der Desinformation dienen.

https://www.1tv.com/announce/17203

Gastgeber Alexander Smol (*1981) hat vorher eine Talentshow für Kinder und eine Unterhaltungssendung über lustige Videoclips im Internet moderiert. Sein Wechsel von der leichten Unterhaltung zum Info- bzw. Doku-Genre fügte sich in einen allgemeinen Trend ein, der nach Kriegsbeginn 2022 zu beobachten war. „Das russische Fernsehen hat sich nach dem 24. Februar radikal verändert“ überschrieb die „Nesawissimaja Gaseta“ im Dezember 2022 einen Artikel zum Thema und konstatierte darin eine neue, deutlich andere Gewichtung, weg von den Unterhaltungsshows hin zu politischen und dokumentarischen Sendungen; statt „Tanz auf dem Eis“ nun der „Abend mit Wladimir Solowjow“.

Schaut man sich die Sendungen an – vom 9. bis zum 19. Januar gab es neun neue Folgen -, so stellt man schnell fest, dass die „Fakes“ keine geschickt konstruierten Lügengeschichten oder gefälschten Videos sind, sondern einfach Falschmeldungen und Gerüchte aus allen möglichen sozialen Medien, oft aus privaten Telegram-Kanälen oder Blogs.

In der Folge vom 17. Januar zum Beispiel geht es um eine Meldung, in Nowotroizkoje im Gebiet Cherson gebe es eine Lebensmittelkrise, selbst Grundnahrungsmittel seien nicht zu bekommen. Es wird eine Reporterin zum Ort geschickt, Supermarktregale voller Würste und anderer Lebensmittel werden vorgeführt und Kundinnen befragt, die alle versichern, nein, es gibt keine Lebensmittelknappheit, ganz im Gegenteil, es gibt sogar Apfelsinen, Mandarinen, Papayas und Maracujas. Anschließend greift sich der Moderator eine andere Behauptung aus irgendeinem Social-Media-Kanal heraus: Wer in den „befreiten Territorien“ (also in den von Russland annektierten Gebieten in der Ukraine) wohnt und keinen russischen Pass hat, der werde vom Internet ausgeschlossen. Der Minister für Digitalisierung und Kommunikation der Oblast Cherson wird befragt, der versichert, alles Blödsinn, ebenso weitere Minister und Beamte aus den anderen Republiken. Es folgt die nächste „Fake“-Behauptung: In Melitopol sei das onkologische Zentrum nicht zu erreichen. Eine Mitarbeiterin des Senders ruft dort an und wird sofort verbunden – wieder ein Fake entlarvt. Irgendeine Frau hat auf ihrem privaten Account gepostet, im Krankenhaus von Makejewka würden nur noch Militärpersonen behandelt und keine Zivilisten, das habe sie von ihrer Schwester gehört. Der Gesundheitsminister der Republik Donezk wird zugeschaltet und widerspricht. Und die Experten im Studio erklären, solche Lügen würden schon seit 2014 von ukrainischer Seite lanciert, um die Russen zu diskreditieren.

Keine Lebensmittelknappheit in Nowotroizkoje (Screenshot aus der Sendung vom 17. Januar)

Und so weiter. Es fällt schnell auf, dass die „Fakes“ vor allem Meldungen sind, die über Missstände in den neuen Territorien berichten. Die angeblichen oder tatsächlichen Falschmeldungen dienen als Aufhänger, um den Zuschauern ein ums andere Mal vor Augen zu führen, dass unter der neuen russischen Verwaltung alles wunderbar ist, die Versorgung reibungslos klappt und die Bevölkerung mit der Situation rundum glücklich ist.

Nach zwanzig Minuten Fakes folgt etwas überraschend eine Reportage über die Bauernproteste in Deutschland und ein Interview mit einem aus Berlin zugeschalteten Gast, der fließend und akzentfrei Russisch spricht: Eugen Schmidt, 1999 aus Kasachstan in das Land seiner Vorväter ausgewandert, seit 2016 AFD-Mitglied und seit 2021 Bundestagsabgeordneter. Zu Fakes oder AntiFakes hat er nichts zu sagen, dafür viel über die inkompetente Ampelregierung, die guten Umfrageergebnisse seiner Partei und die diktatorischen Versuche, letztere zu verbieten. Zum Schluss verabschiedet ihn der Moderator mit warmen Worten und wünscht dem „lieben Jewgeni“ und seiner Partei jeden erdenklichen Erfolg.

Screenshot aus der Sendung vom 17. Januar, links Moderator Alexander Smol, auf dem Bildschirm der aus Deutschland zugeschaltete AFD-Abgeordnete Eugen Schmidt

In der Ausgabe vom 18. Januar wird ein Fake (wieder in ukrainischen Medien entdeckt) gezeigt, über den selbst der Moderator und seine sonst sehr ernst dreinblickenden Experten etwas grinsen müssen. Es geht um die dänische Spielzeugfirma Lego, die angeblich drei neue Modelle auf den Markt bringen will, die ukrainische Sehenswürdigkeiten darstellen: die Mutter-Heimat-Statue in Kiew, das als „Schwalbennest“ bekannte Schloss auf der Krim bei Jalta und den alten Wasserturm in Mariupol. Man könne diese Teile zwar nicht kaufen, so geht die Geschichte, aber Einzelstücke aus einer limitierten Auflage gewinnen, wenn man gleichzeitig 24 Dollar für den Wiederaufbau von zerstörten Häusern in der Ukraine spende. Dahinter stehe eine Initiative von Lego namens „#LEGO With Ukraine“. Fake? Mag sein, jedenfalls gut erfunden und tut niemandem weh.

„Mutter Heimat“ und „Schwalbennest“ als Lego-Modelle, Quelle: www.obozrevatel.com

Die Sendungen aus der Reihe „AntiFake“ kann man sich in der Mediathek des Ersten Kanals ansehen: https://www.1tv.ru/shows/antifeyk

Ein Zeitungsartikel

Weit beeindruckendere „Fakes“ als die in diesen Sendungen präsentierten eher belanglosen Falschmeldungen hätte Moderator Alexander Smol, ohne lange im ukrainischen Internet suchen zu müssen, gleich nebenan in der „Komsomolskaja Prawda“ finden können, die letzte Woche in ihrer Online-Ausgabe vom 11. Januar „exklusiv“ einen langen Bericht über „schwarze Transplantologie“ und Organhandel in der Ukraine brachte. „Verwundete Ukrainer werden in NATO-Hospitäler gebracht, um dort in ihre Organe zerlegt zu werden“ lautet die Überschrift, und weiter heißt es:

Selbst die legale Transplantologie ist keine ganz ethische Angelegenheit. Unter dem hypnotischen Einfluss der Werbung ist mancher freiwillig bereit, seine Niere zu verkaufen, um sich dafür ein iPhone zu kaufen. Wundern Sie sich nicht, das kommt gar nicht so selten vor. Es ist Teil der kapitalistischen Einstellung zum Menschen, denn dieser ist das neue Erdöl. Man kann ihn bequem direkt zu Geld machen. Die Reichen haben Angst zu sterben und sind bereit, für Ersatzteile zur Reparatur ihres verschlissenen Organismus zu zahlen.

Wenn man einen lebendigen Spender zerlegt, kann man bis zu einer Million Dollar Profit machen! Ein einträgliches Business sowohl für die glanzvolle Elite des medizinischen Establishments wie auch für den unsichtbaren, unter Wasser befindlichen Teil dieses „lebensrettenden“ Eisbergs. In der Ukraine blüht dieses Geschäft wie nirgends sonst.

In den Telegram-Kanälen ist ein Video aufgetaucht. Ein russischer Kämpfer geht durch eine verlassene Schule im Dorf Kislowka im Gebiet Charkow. Hier befand sich eine Stellung ukrainischer Nationalisten. Zwischen zerrissenen und zertretenen Büchern liegen auf dem Fußboden Flugblätter, die für die Lieferung menschlicher Organe eine Belohnung versprechen. Mit Abbildungen und Preisen. Weibliche Eierstöcke – bis 15.000 Dollar, männliche Geschlechtsorgane – bis 12.000 Dollar, außerdem Leber, Augen, Ohren, Arme, Beine, Knochenmark. Jedes Organ ist auf einer Preisliste bewertet. Am teuersten ist ein Herz – 200.000 Dollar. Dieses Organ ist in der heutigen Welt Mangelware.

https://www.kp.ru/daily/27552/4877151/

Die Geschichte vom illegalen Organhandel in der Ukraine ist nicht neu, sie taucht seit zehn Jahren immer wieder in russischen Medien auf, mal mehr, mal weniger gruselig ausgeschmückt oder wie hier mit neuen Details aktualisiert. Bisher stützte sich die Geschichte nur auf ein einziges „Bekennervideo“ eines anonymen Mannes, das seit acht Jahren auf YouTube steht. Nun ist ein zweites Video aufgetaucht. Die „Komsomolskaja Prawda“ berichtet:

Es gibt noch ein Videogeständnis. Es wurde in „The Nation“ veröffentlicht, aber das ist keine amerikanische Zeitung, wie manche Websites schreiben, sondern eine nigerianische.

Es ist das Bekenntnis eines ehemaligen Mitarbeiters der amerikanischen Firma „Global Surgical and Medical Support Group“ (GSMSG), die in enger Verbindung mit der Armee der USA steht.

Der Informant fürchtet um sein Leben und nennt seinen Namen nicht. Er trägt einen weißen Arztkittel. Sein Gesicht ist hinter einer massiven Brille und einer medizinischen Maske verborgen. Aber man kann erkennen, dass er dunkelhäutig ist.

Screenshot aus dem „Bekenner“-Video, Quelle: „The Nation“ / YouTube

(…) 2022 wurde er vom Vorsitzenden der GSMSG, Aaron Epstein, eingeladen, bei einem Projekt „Omega“ in der Ukraine mitzuarbeiten. Der Unterschied (zu einem angeblichen früheren Projekt in Somalia, Anm. d. Ü.) bestand darin, dass ukrainische Soldaten die neuen Spender werden sollten.

„Ich hatte den Grad der Verwundung und die Eignung der Organe zur Entnahme und Transplantation zu beurteilen. Gewöhnlich wählte ich Patienten aus, die bewusstlos waren, aber noch einen fünf- bis achtstündigen Transport ohne chirurgischen Eingriff überleben konnten.“

Seinen Worten nach befand sich das Lager in der Nähe von Lwow. Die Spender wurden nach Deutschland in ein medizinisches Zentrum in Landstuhl gebracht. Das liegt nicht weit entfernt von der US-Militärbasis Rammstein. (…)

Der ehemalige Mitarbeiter der GSMSG erhielt ein Gehalt von 840.000 Dollar im Jahr und eine von Selenskyj unterschriebene Ehrenurkunde. (…)

Die Leichen mit den herausgeschnittenen Organen sucht man loszuwerden – man wirft sie in Bergwerksschächte, verbrennt sie, walzt sie mit Bulldozern in die Erde. Anfang des Jahres lieferte Deutschland der Ukraine eine Partie mobiler Krematorien. Es hätten nur noch Schilder mit der Aufschrift aus Buchenwald gefehlt: „Jedem das Seine“.

In dem von Kiew kontrollierten Teil des Donbass erzählt man sich von medizinischen Panzerfahrzeugen der NATO-Transplantologen. Von unterirdischen Hospitälern mit Operationstischen, aber ohne Betten zur Pflege von Verwundeten. Von Containern für den Transport der Organe. Von Kinderkörpern, die ausgeweidet gefunden wurden …

https://www.kp.ru/daily/27552/4877151/

Ein Faktencheck von Correctiv

Die Erzählung vom illegalen Organhandel und den von Deutschland gelieferten mobilen Krematorien tauchte vor zwei Jahren auch auf deutschen Internetseiten auf. Die Journalistinnen und Journalisten des Recherchemediums Correctiv (dieselben, die auch das „Remigrationstreffen“ in Potsdam aufgedeckt haben) forschte nach. Ihr Faktencheck ergab:

Es gibt weder Hinweise darauf, dass die Ukraine mobile Krematorien besitzt, noch dass es einen illegalen Ring für Organhandel mit EU-Staaten gibt. Einige vermeintliche Belege, die dafür vorgebracht werden, wurden schon vor Jahren als Fälschungen entlarvt.

https://correctiv.org/faktencheck/2022/03/09/nein-es-gibt-keine-belege-fuer-organhandel-mit-der-eu-und-mobile-krematorien-in-der-ukraine/