RUSSLAND HEUTE
Keine Übersetzung – stattdessen ein „Summary“
Im Januar 2023 erschienen die Memoiren von Prinz Harry und wurden überall auf der Welt den Buchhändlern förmlich aus der Hand gerissen, alle wollten die Details der heiklen Familienverhältnisse der britischen Royals aus erster Quelle erfahren. Auch in Russland interessiert man sich lebhaft für Harry, Meghan und Co., aber … es gibt keine russische Übersetzung, und auch das englische Original kann man legal nicht kaufen.
Der Grund: Die Verlagsgruppe „Penguin Random House“, der die Rechte für Harrys Buch gehören, hat bereits im März 2022 wegen des Ukrainekriegs jegliche Zusammenarbeit mit russischen Verlagen auf Eis gelegt.
Nun aber haben die russischen Verleger einen Ausweg aus dieser misslichen Lage gefunden, eine legale Möglichkeit, die Neugier und Nachfrage ihres Publikums zu befriedigen: Harrys Buch erscheint nicht als Übersetzung, sondern als „freie Nacherzählung“ oder „Summary“ (russisch-englisch „Sammari/Саммари“, siehe Abbildung). Ende Februar ist es in dieser Form von Eksmo, einem der größten russischen Verlage, auf den Markt gebracht worden. Nur der Titel „Sapasnoj“ („Reservist“) lehnt sich eng an den Originaltitel „Spare“ an.

Die Moskauer Online-Zeitung MSK1.Ru sprach noch vor der Veröffentlichung mit der Direktorin für Kommunikationsstrategie der Verlagsgruppe Eksmo-Ast, Jekaterina Koschanowa.
„Das Format ‚Summary‘ erfordert eine Wiedergabe der Grundthesen eines Buches, es existiert auf dem Weltmarkt schon seit über zehn Jahren. Unter den jetzigen Bedingungen, wo etliche Rechteinhaber die Rechte für bedeutende Bestseller nicht verkaufen, bekommt es eine besondere Aktualität. Eine solche bedeutende Neuerscheinung ist die Autobiographie ‚Spare‘ von Prinz Harry“, erklärt Koschanowa. (…)
„Wir betrachten dieses Projekt als Startup und erzwungene Maßnahme. Wir sind der Meinung, dass unseren Lesern der Zugang zu den wichtigsten Neuerscheinungen im Non-Fiction-Sektor und zu allen Wissensgebieten garantiert werden muss“, erläutert Jekaterina Koschanowa. „Am ‚Summary‘ des Buches von Prinz Harry arbeitet ein professionelles Verlagsteam, alle Schlüsselideen des Buches werden darin enthalten sein, aber ohne Auszüge daraus zu verwenden. Der Autor der Nacherzählung liest das Buch in der Originalsprache und erzählt es mit seinen eigenen Worten nach.“
Diese Art von freier Wiedergabe sei, so ist in einem anderen Artikel zum Thema zu lesen, im Rahmen russischer Gesetze legal:
Die „Assoziation der Juristen Russlands“ ist der Ansicht, dass eine solche Vorgehensweise das Autorenrecht nicht verletzt. Es ist dafür erforderlich, den Ausgangstext gründlich zu überarbeiten und Übersetzungen und Zitate auszuschließen. Die Nacherzählung muss auf qualitativ hohem Niveau erfolgen. Auf diese Weise entsteht dann ein neues Werk auf der Grundlage des Gelesenen.
Die Besonderheiten der russischen Gesetzgebung sind von Vorteil für die Verlage, die Bücher ausländischer Autoren herausgeben wollen. Es verhält sich nämlich so, dass bei uns das Gesetz nicht den Inhalt eines Werkes schützt, sondern seine Form. Das heißt, wenn der Text nicht direkt kopiert, sondern künstlerisch umgestaltet wird, so entsteht als Ergebnis ein neues Werk mit eigenen Autorenrechten, weil seine Form eine andere ist – abweichend von der „Quelle der Inspiration“.
Prinz Harry hätte auf Kosten der Leser aus Russland noch ein bisschen reicher werden können, aber die Sanktionen haben das verhindert. Und die russischen Verlage planen, auch weiterhin dieses Schlupfloch in der Gesetzgebung zu nutzen, um ihre Leserschaft mit den Werken ausländischer Autoren bekannt zu machen.