Hohe düstere Häuser, enge gepflasterte Straßen, alles Grau in Grau, man sieht keinen Himmel, kaum Licht. Roboter fahren durch diese Steinwüste und merzen unbarmherzig jedes grüne Pflänzchen aus, das sich aus den Mauerritzen und Pflasterspalten hervorwagt. Aber die Pflanzen kommen trotzdem immer wieder heraus und lassen sich durch keine Maschinengewalt vertreiben. Sie erobern sich die Stadt zurück und verwandeln sie in einen üppigen Garten.

Screenshot aus dem Film, Quelle: YouTube

Das ist die Handlung eines beeindruckenden, nur zehn Minuten langen Films, den der russische Animationsfilmer Garri Bardin 2016 auf dem Filmfestival in Cannes vorstellte. Der Titel lautet wörtlich übersetzt „Beethoven lauschend“ („Слушая Бетховена“) – denn die Handlung wird begleitet von Musik aus Beethovens Symphonien, anfangs der siebten, am Ende der neunten. Gedreht wurde der Film in Stop-Motion-Technik – also jedes Bild einzeln aufgenommen. Um den Eindruck von Bewegung zu erzeugen, sind 10 bis 15 Bilder pro Sekunde nötig.

Garri Bardin, geboren 1941 in Orenburg, wohnhaft in Moskau, hat sich durch seine ungewöhnlichen Kurzfilme einen Namen weit über Russland hinaus gemacht. 1988 wurde er in Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichnet, in seiner Heimat gewann er insgesamt fünfmal die „Nika“ für den besten Animationsfilm des Jahres. Die „Nika“ ist der wichtigste russische Filmpreis.

2014 unterzeichnete Bardin einen offenen Brief zur Unterstützung der Ukraine und hat seitdem immer wieder die Politik des Kreml kritisiert. Bisher ist ihm nichts passiert – vielleicht wegen seines Alters und seines internationalen Ansehens -, allerdings hat man ihm mittlerweile komplett die staatliche Unterstützung seiner Projekte entzogen. Diesen Kurzfilm finanzierte er durch Crowdfunding übers Internet.

Der Sender „Radio Free Europe“ führte 2016 ein ausführliches Interview mit Garri Bardin, das auch in Schriftform auf der Website des Senders zu lesen ist. Daraus habe ich einige aufschlussreiche Abschnitte übersetzt – unter anderem berichtet er auch über eine persönliche Begegnung mit Wladimir Putin.

(Wer lieber gleich den Film sehen will – bitte ans Ende des Interviews scrollen.)

Garri Bardin (Foto: Anastassija Baryschewa, MoskvichMag.ru)

Finanzierung und fehlende staatliche Unterstützung

Einen Film zu produzieren kostet viel Geld, selbst wenn es nur ein animierter Kurzfilm ist. Man braucht Investoren oder staatliche Fördermittel. Bardin hat mit einer dritten Methode Erfolg gehabt: durch Crowdfunding, also Spenden übers Internet. Leicht ist es ihm nicht gefallen, sich „mit ausgestreckter Hand“ an Fremde zu wenden:

Das ist ein wunder Punkt für mich. Gerade denke ich über einen neuen Film nach, ich habe auch schon ein Drehbuch geschrieben. Aber ich werde mich auch diesmal nicht an das Kulturministerium wenden, weil mein Film vom Thema her überhaupt nicht passt. Ich habe gelesen, was im Filmfonds beim Pitch empfohlen wurde: orthodoxe, historische, patriotische Thematik. Diese Thematik ist mir sehr fern, sie lässt mich kalt. Aber dort stellt man solche Aufgaben.

Ist denn „Beethoven lauschend“ kein patriotischer Film?

Ja, wie soll ich sagen? Für mich ist er patriotisch.

Weil er es tatsächlich ist. Respekt vor der inneren Freiheit des Menschen – das ist Patriotismus.

Ja. Aber jetzt jongliert man mit dem Wort „Patriotismus“ nach Gutdünken.

Haben Sie in Ihrem langen Berufsleben eine Million Dollar verdient?

Ich?

Sie.

Nein. Ich habe keine Datscha und keine Villa, nein. Ruhm und Geld gehen bei uns verschiedene Wege. (…)

Unter der Sowjetmacht gab es keine finanziellen Sorgen, aber es gab Zensur. In den 90er Jahren gab es keine Zensur, aber finanzielle Sorgen. Wie sieht es heute aus?

Die Zensur ist zurück, und Geld gibt es auch keins. Die Probleme haben sich verdoppelt. Jetzt ist es schwieriger zu arbeiten als in Sowjetzeiten. Dunkle Wolken sind aufgezogen.

Begegnung mit Putin

2011 wurde Bardin zusammen mit anderen Animationsfilmern und Kollegen von Putin empfangen, der ihnen in Aussicht gestellt hatte, für die Sparte Animationsfilm in Russland Fördermittel in Höhe von einer halben Milliarde Rubel (ca. 5 Millionen Euro) flüssig zu machen.

Inzwischen ist genügend Zeit vergangen, um nachzufragen: Ist dieses Geld tatsächlich geflossen und hat sich die Situation in Ihrer Sparte zum Besseren gewendet?

Nein, sie hat sich nicht geändert. Damals hat er uns aufmerksam zugehört, anschließend ein Blatt Papier aus der Tasche gezogen, einen Computerausdruck, auf dem stand, dass er uns 50 Millionen Rubel (ca. 500.000 Euro) gibt. Für die gesamte Sparte ist das ein Klacks, ist das nichts. Wir sprachen auch über ernstere Dinge: über die Gründung einer Akademie, über die Kontinuität der Generationen, über eine Ausbildung, damit das Niveau unseres russischen Animationsfilms bewahrt und der Stafettenstab des sowjetischen Animationsfilms übernommen wird, der ein sehr hohes Niveau hatte. Aber das ist alles nicht geschehen.

Welchen Eindruck hat Wladimir Putin im persönlichen Gespräch auf Sie gemacht? Viele sagen, dass er es gelernt hat, die Menschen zu bezaubern. Darunter auch die, die ihm kritisch gegenüberstehen.

Nein, ich war nicht bezaubert.

Kein Stockholm-Syndrom?

Nein. Ich war nicht bezaubert, weil ich in seiner Intonation und Mimik (und auf dem Gebiet bin ich Profi, die Psychologie ist Bestandteil meines Berufs) die geschmacklose Redensart lesen konnte, die mir verhasst ist: Wenn du so ein kluger Mensch bist, warum bist du dann so arm?

Das heißt, er hat sie mit einer gewissen Verachtung behandelt?

Er hat uns ein wenig wie Versager behandelt. Loser, talentiert und klug, aber arm. Das versteht er nicht.

„Die Krim ist nicht unser.“

Am Ende des Gesprächs kommt Garri Bardin noch auf die Ukraine zu sprechen – zum Zeitpunkt des Interviews war der Krieg noch sechs Jahre entfernt, aber die Annektion der Krim bereits seit zwei Jahren vollzogen. „Die Krim ist unser“ wird seitdem auf Russisch meist in einem Wort geschrieben: „Крымнаш“ – als Parole, die die angeblich unauflösliche Zugehörigkeit zu Russland auch in der Schreibweise demonstriert.

Zur Situation in der Ukraine. Zur Situation auf der Krim. Die Krim hat man zerspalten … sogar noch widerlicher … in den Köpfen findet ein Bürgerkrieg statt. Die Krim ist nicht unser. Und wir sind in der Unterzahl. Ich habe einen Enkel, er ist neun Jahre alt. Seine Großmutter von der anderen Seite müllt ihn zu mit Patriotismus. Einmal sagte er zu mir: „Opa, ja, Stalin war ein Henker, aber …“ Ich sagte ihm: „Aus, vorbei. Ende des Themas. Stalin war ein Henker, und Punkt.“ Es gibt keine Rechtfertigung für einen Menschen, der andere ermordet. Kein Wasserkraftwerk kann die Ermordung unschuldiger Menschen rechtfertigen. Darauf antwortete mir mein Enkel: „Weißt du, vielleicht hast du ja recht, aber auf die Geschichte, wie Oma sie mir erzählt, kann man stolz sein. Aber auf deine Geschichte nicht.“ Ich bin also für eine Geschichte, auf die man nicht unbedingt stolz sein kann. Man muss sie aber kennen, um nicht immer wieder in die gleiche Falle zu treten.

Zur Krim hat Ihr neunjähriger Enkel noch nichts gesagt?

Doch, hat er.

Unser? Nicht unser?

Unser. Unser. Das ist es ja gerade, Sie sagen, dass alle diese roten Halstücher harmlos waren. Sie sind nicht harmlos. Der süße Mythos, dass damals alles gut war, deformiert das Bewusstsein. Nicht nur meinem kleinen Enkel.

https://www.svoboda.org/a/27780282.html