Betroffen sind Taxifahrer und Kurierdienste

Kurz nach der Veröffentlichung des letzten Beitrags über neu ausgerüstete Videokameras in Petersburg fand ich den im Folgenden zitierten Artikel in der russischen Presse. Er setzt sich mit den zunehmenden Einschränkungen und Berufsverboten für Migranten auseinander und kritisiert diese Entwicklung. Es geht dabei um eine ebenfalls in Petersburg angeordnete Maßnahme – Berufsverbote für Migranten in der Branche der Taxifahrer und Kurierdienste.

Der Artikel ist im Moskauer Stadtmagazin „MoskvichMag“ erschienen. Das ist eine Online-Zeitung für gutsituierte Städter(innen), die sich vorwiegend mit den schönen Dingen des Lebens wie Mode, Essen, Musik, Architektur usw. beschäftigt. Hin und wieder greift sie aber auch gesellschaftliche Themen auf, nicht selten mit kritischen Untertönen (wie sie in russischen Zeitungen immer seltener werden).

Städte ohne Migranten?

Screenshot von der Website „moskvichmag.ru“

„Die Lieferung ist abgesagt“ – so lautet die Überschrift des Artikels, und weiter heißt es: „Warum das Arbeitsverbot für Migranten zum Problem nicht nur für sie selbst wird“. Ich zitiere einige Aussagen daraus:

Immer öfter rückt das Thema der „Städte ohne Migranten“ ins öffentliche Bewusstsein. Fast täglich tauchen in den Nachrichten Vorschläge zu weiteren Einschränkungen auf. Das augenfälligste Beispiel ist Petersburg, wo eine neue Verfügung legalen Migranten mit Patent verbietet, als Taxifahrer oder bei Lieferdiensten zu arbeiten. Die Maßnahme tritt im November in Kraft.

Das Patent ist für den Arbeitsmigranten keine Formalität, sondern Resultat einer komplizierten Prozedur. Um es zu bekommen, muss er einen ganzen Stapel an Dokumenten vorlegen, sich einer medizinischen Untersuchung unterziehen und Prüfungen in russischer Sprache und Gesetzgebung ablegen. Und außerdem jeden Monat eine festgelegte Abgabe an die regionale Staatskasse überweisen.

Der Lieferdienst kommt nicht mehr und das Taxi wird teurer

Man fragt sich natürlich, handelt es sich um eine reine Schikane oder gibt es tatsächlich objektive Gründe für diese Verbote. Die offizielle Antwort stellt nicht alle zufrieden:

Die Behörden erklärten ihre Entscheidung mit erhöhter Sicherheit, besserer Ordnung in dieser Branche und der Schaffung zusätzlicher Arbeitsstellen für russische Staatsbürger. Aber in den Großstädten, besonders Moskau und Petersburg, stellt sich die Frage: Wie wird sich das Verbot auf die Verfügbarkeit und den Preis der gewohnten Serviceleistungen auswirken? Eine Umfrage unter den Lesern des „MoskvichMag“ zeigte, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Entscheidung der Petersburger Stadtverwaltung für falsch halten. Auf mögliche Probleme in der Zukunft weisen auch Fachleute hin.

Eine Ökonomin kommt zu Wort und führt an, dass die Zahl der Migranten in den letzten Jahren stark zurückgegangen sei. Zurzeit arbeiten in Russland ca. 3 bis 3,5 Millionen Migranten, das sind fast zweimal weniger als noch 2013/2014. Die Einschränkungen und Verbote, erklärt die Expertin, seien gar keine ökonomische Entscheidung, sondern eine politische. Mittlerweile gebe es einen regelrechten Wettbewerb zwischen den verschiedenen Regionen, wer die meisten Verbote erlasse.

Jede Reduzierung der ökonomischen Aktivität bedeutet geringere Steuereinkünfte und weniger Geld für Soziales. (…) Man riskiert, dass ein Teil der Migranten in die Schattenwirtschaft geht, wo die Arbeitsbedingungen und die Tätigkeit selbst praktisch nicht mehr kontrolliert werden können.

Die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen, schreibt die Zeitung, sei weiterhin groß, ob sie durch einheimische Arbeitskräfte abgedeckt werden könne, sei zumindest fraglich.

Taxis und Lieferdienste sind nicht nur ein Service für den Bürger, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der Infrastruktur, sie fördern die Entwicklung des Onlinehandels und der Dienstleistungsbranche. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Tarife für den Endverbraucher steigen – in einer Reihe von Regionen kann man das jetzt schon beobachten. (…)

In Petersburg gibt es das zusätzliche Problem eines hohen Passagieraufkommens, während gleichzeitig das System des ÖPNV zu wünschen übrig lässt. Unter solchen Bedingungen spielt das Taxi eine sehr wichtige Rolle und hilft enorm, Zeit zu sparen (besonders dort, wo es keine schnellen Verbindungen mit Bus und Metro gibt). Schon jetzt dürfen nur Patentinhaber aus Russland, Belarus, Kirgisistan, Kasachstan, Abchasien und Südossetien Taxi fahren.

Die Preise für ein Taxi sind in Russland bisher nicht sehr hoch, umgerechnet etwa 20 Cent pro Kilometer (bei uns um die 3 Euro).

„Petersburg bleibt ohne Migranten im Taxi: Was mit Preisen, Fahrern und Service passieren wird“ – Screenshot von der Website „gorodovoy.ru“

Auch die Lieferdienste sind aus den russischen Großstädten nicht mehr wegzudenken und umfassen nicht nur Essen und Einkäufe:

In den letzten Jahren sind Lieferdienste in fast alle Bereiche unseres Lebens eingedrungen: Kuriere transportieren zum Beispiel lebenswichtige Arzneimittel oder Dokumente. Auch wenn die Verbote erst nach einer dreimonatigen Übergangszeit wirksam werden, so warnt die Wirtschaft doch jetzt schon: Wenn es weniger Kuriere gibt, aber gleichzeitig die Nachfrage steigt, können die Preise um mehr als das Doppelte in die Höhe schnellen.

Der Artikel zieht ein eindeutiges Fazit:

Die unerfreulichen Folgen dürften größer sein als der vermutete Nutzen. Es existiert ja schon ein umfassendes Kontrollsystem für Migranten auf föderaler Ebene – von einem Personenregister bis zur Erfassung ihrer biometrischen Daten beim Kauf einer SIM-Karte. Muss man da jetzt noch das Rad erfinden? Auf diese Frage antworten sowohl Experten wie Einwohner eher ablehnend.

Weitere Verbote sind geplant

Viel bewirkt hat die Kritik bis jetzt nicht. Im Gegenteil, die Restriktionen sollen noch verschärft und ausgeweitet werden. Am 11. September meldete die Petersburger Online-Zeitung „gorodovoy.ru“:

Bereits im Sommer hat man Migranten in der Region Petersburg untersagt, als Taxifahrer und Fahrradkuriere zu arbeiten. Jetzt prüfen die Behörden Möglichkeiten, die Verbote noch zu erweitern.

Geplant ist, die Arbeit von Migranten in Kindergärten, Schulen, medizinischen Einrichtungen und in Organisationen, die die Sicherheit der Bürger betreffen, zu beschränken. (…)

Migranten besetzen oft Arbeitsplätze in Bereichen, in denen es an einheimischen Arbeitskräften fehlt. Aber eine zu hohe Abhängigkeit von ausländischen Arbeitnehmern erzeugt ein Gefühl der Unsicherheit.

Deshalb wollen die Behörden die Zahl der Berufe und Sparten, in denen Migranten arbeiten dürfen, einschränken und gleichzeitig mehr auf die Ausbildung eigener Spezialisten setzen.

Kommentare der Bevölkerung

Auf der Seite des Petersburger Online-Portals „fontanka.ru“ sammelten sich in kurzer Zeit fast 400 Kommentare unter der Nachricht von den bereits beschlossenen Berufsverboten. Mitleid mit den gebeutelten Migranten gab es allerdings fast gar nicht, dafür Schelte für die Stadtverwaltung und den Gouverneur Alexander Beglow und Angst vor steigenden Preisen. Einige Stimmen:

Was rauchen die da oben eigentlich alle? Manchmal kommt es mir vor, als ob unsere Regierung in einer Parallelwelt lebt. Oder geht es den Lobbyisten von Yandex nur darum, dass die Taxipreise noch mehr steigen?

[Dem russischen Unternehmen Yandex, das vor allem durch seine gleichnamige Internet-Suchmaschine bekannt ist, gehört auch ein Taxidienst und ein Lieferdienst.]

Vor allem wird das die Preise in die Höhe treiben. Die Zeiten, wo das Taxi nur doppelt so viel gekostet hat wie der Bus, sind längst Geschichte. Schon jetzt muss man mindestens 700 Rubel blechen, in Zukunft werden es anderthalbtausend sein. Taxi, adieu.

Ich pfeife auf die Preise! Lieber fahre ich zum doppelten Preis mit einem russischen Chauffeur als mit diesen Genossen! Weshalb gibt es beim Taxi keine Kategorie „russischer Fahrer“?

Da schau her. Na, dann werden sie wohl demnächst als Ärzte oder Juristen arbeiten. Zurück in ihren Kischlak gehen sie bestimmt nicht.

Eher andersrum. Die Ärzte und Juristen werden als Taxifahrer arbeiten, weil sie da mehr verdienen können.