„Die Jagd auf Soldaten der Spezialoperation ist eröffnet“, „Zum Trauern fahre ich auf die Malediven“, „Habgier, Verrat, schäbige Berechnung“ – diese und ähnliche Schlagzeilen konnte man in den letzten Wochen in vielen russischen Medien lesen. Es ging um eine neue, sich offenbar rasch ausbreitende Betrugsmasche: Frauen schließen Scheinehen mit russischen Soldaten, die sich an die Front in der Ukraine gemeldet haben, mit dem Ziel, im Todesfall die Versicherungsprämie, die Witwenrente und weitere Vergünstigungen zu ergattern. „Schwarze Witwen“ („черные вдовы“) nennt man sie, wie die gefürchteten giftigen Spinnen.

Hohe Prämien und Privilegien

Die Männer selbst werden mit immer höheren Summen geködert, einen Vertrag über den Einsatz im Ukrainekrieg abzuschließen. Noch gibt es ja keine allgemeine Mobilmachung, die Soldaten gehen als „kontraktniki“ (Vertragssoldaten) meist für ein Jahr an die Front. Wenn sie Glück haben, kommen sie lebend zurück und können die Prämien und Privilegien selbst erhalten, für den Fall ihres Todes wissen sie, dass ihre Angehörigen versorgt werden.

Schon beim Vertragsabschluss erhält der „kontraktnik“ eine hohe Prämie. In der Anzeige unten im Bild sind es 2,5 Millionen Rubel (26.600 Euro); Reservisten, die sich zum zweiten Mal verpflichten, bekommen sogar 4 Millionen (42.600 Euro). Für das erste Jahr werden 7 Millionen Rubel (75.000 Euro) Sold garantiert. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Monatslohn liegt zurzeit bei umgerechnet etwa 750 Euro, in der Provinz deutlich darunter. Die meisten Soldaten kommen aus der Provinz.

Der Sold wird immer höher: Werbeplakat für den Dienst in der „Spezialoperation“

Und so zynisch es klingt: Es lohnt sich auch für die Angehörigen immer mehr, einen Ehemann, Sohn, Bruder im Krieg zu haben, besonders im Todesfall. Dann werden an die Hinterbliebenen große Summen ausgezahlt, zusätzlich erhalten sie viele Sachleistungen und Privilegien. Im Lauf der letzten drei Jahre hat sich ein komplexes, verschachteltes System an finanziellen, materiellen und immateriellen Anreizen entwickelt, mit so vielen Abstufungen und regionalen Besonderheiten, dass es inzwischen eine ganze Beratungsindustrie zum Thema gibt. Juristen erklären den Angehörigen, welche Ansprüche sie im Todesfall geltend machen können, welche Dokumente sie vorlegen und an welche Behörden sie sich wenden müssen.

Eltern, Geschwister und Kinder kann man sich nicht aussuchen, die hat man oder hat man nicht. Anders ist es mit der Ehefrau. Für geschäftstüchtige und von nicht allzu vielen Skrupeln geplagte Damen eröffnen sich auf diesem Gebiet daher interessante Perspektiven.

Staatliche Leistungen für Witwen der „Spezialoperation“

Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Leistungen, die eine Ehefrau erhält, deren Mann in der „Spezialoperation“ gefallen ist (Stand August 2025).

Einmalige Zahlungen:

  • Eine Versicherungszahlung des Verteidigungsministeriums in Höhe von ca. 3.400.000 Rubel (36.000 Euro). Diese Zahlung wird auch dann fällig, wenn der Soldat innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung seines Einsatzes stirbt.
  • Die sogenannte „Präsidentenzahlung“ in Höhe von 5.000.000 Rubel (53.500 Euro).
  • Eine Ausgleichszahlung für eventuell noch ausstehenden Monatssold. Das können im günstigen Fall einige hunderttausend Rubel (also mehrere tausend Euro) sein.

Die Einmalzahlungen muss sich die Witwe allerdings mit Eltern und Geschwistern, so vorhanden, teilen.

Regelmäßige Zahlungen:

  • Eine monatliche Rente für den „Wegfall des Ernährers“ in Höhe von 8.800 Rubel (94 Euro), allerdings erst ab dem 50. Lebensjahr.
  • Ein monatlicher Zuschuss von 3000 Rubel (32 Euro) für jedes Kind bis 18 Jahre, für Kinder im Fernstudium oder mit Behinderung bis 23 Jahre.

Weitere Leistungen

Neben den finanziellen Leistungen haben Witwe und Familie Anspruch auf etliche Vergünstigungen und Sachleistungen, die sich regional stark unterscheiden können, zum Beispiel:

  • Zuschüsse zum Erwerb oder Bau eines Hauses
  • Verlegung von elektrischen oder Gasleitungen
  • Zuschüsse zum Einbau von Sanitäranlagen
  • verbilligte oder kostenlose Baugrundstücke
  • steuerliche Erleichterungen
  • kostenlose medizinische und psychotherapeutische Behandlungen
  • kostenlose Kuren
  • kostenlose juristische Beratung
  • Zulassung zum Studium ohne vorherige Prüfung
  • kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel

Die Regionen dürfen selbst entscheiden, welche dieser weiteren Leistungen sie gewähren. Man kann aus der Art der Leistungen oft Rückschlüsse ziehen, was in welcher Region besonders benötigt wird oder fehlt.

In einer Regionalzeitung für die Republik Dagestan entdeckte ich beispielsweise eine Liste von zum Teil erheblichen (50 %) Zuschüssen im Bereich Wohnen: für eine Grundsanierung von Haus oder Wohnung; für den Anschluss ans Strom- und Gasnetz; für den Kauf und die Lieferung von „festen Brennstoffen“ (also Kohle und Brennholz).

„Sie weinen nicht am Grab“

Schon bevor die „Schwarzen Witwen“ auftauchten, kam es vor, dass Angehörige sich um das Geld für ihren gefallenen Verwandten stritten. Hier habe ich schon einmal über einen solchen Fall geschrieben, in dem die geschiedenen Eltern gegeneinander prozessierten. Aber dass bereits zu Lebzeiten eines Soldaten auf die Entschädigung für seinen Tod spekuliert wird – das ist relativ neu.

Die „Komsomolskaja Prawda“ brachte Ende August unter der Schlagzeile „Zum Trauern fahre ich auf die Malediven“ einen ausführlichen Artikel zum Thema. Hier einige Zitate daraus.

Sie tragen keine Trauerkleidung und weinen nicht am Grab – ihre „Liebe“ bemisst sich nach Millionen Rubel. „Schwarze Witwen“, „Malwinen“, „Flittchen“, „Eintagsfliegen“ – solche Frauen haben viele Spitznamen, aber ihr Ziel ist immer dasselbe: auf die Schnelle einen Soldaten heiraten, um Zugriff auf seinen Sold und seine Privilegien zu bekommen und im Falle seines Todes alles einzusacken.

Woher kommt dieses gruselige Phänomen und wie soll man damit umgehen?

Es ist ein Thema wie eine offene Wunde: schmerzhaft, unangenehm. Aber verschweigen kann man es auch nicht, denn hinter jedem dieser Fälle steht ein Schicksal, steht Kummer und Verrat. Die Frauen, die so etwas tun, sind nicht nur kriminell. Sie sind schlimmer. Und sie werden ihrer Strafe – real oder, wie man heute sagt, karmisch – nicht entgehen.

Einige hat sie schon getroffen. Zum Beispiel Marina Orlowa, Immobilienmaklerin aus Tomsk. Für sie ist der Spaß zu Ende. Am 1. April 2025 erschien im Netz ein Video, in dem sie jungen Frauen Ratschläge gab, wie sie an das Geld für den Kauf einer Wohnung kommen könnten: „Alles kinderleicht. Such dir einen Mann, der in der Spezialoperation kämpft, er fällt, und du kriegst acht Millionen. Sehr viele Frauen kommen mit diesen acht Millionen zu uns. Das ist ein Business-Plan“, lachte die Maklerin in die Kamera.

Maklerin Marina im Video, Screenshot von der Website „gazeta.ru“

Ihr drohen nun bis zu 7 Jahre Gefängnis wegen „Diskreditierung der Streitkräfte der Russischen Föderation“.

Weiter schreibt die Zeitung;

Eine ähnliche Komikerin fand sich in Tjumen. Im Netz tauchte ein Video auf, in dem die 27jährige Anastassija erörtert, was passiert, wenn ihr Mann zur Spezialoperation geht.

„Ich überschreibe die Kinder auf ihn. Wir sind ja so ein glückliches Paar! Ich bekomme die Einmalzahlung von 5 Millionen. Und jeden Monat noch rund 200.000 bis 300.000 drauf, was für eine Abzocke! Den Kindergarten gibt’s für lau. Massig Extra-Kohle. Dann fängt das richtige Leben an! Wir fahren ans Meer, nach Anapa! Und wenn er dann tot ist, kaufen wir uns ein Haus.“

Alles gespickt mit nicht zitierfähigen Ausdrücken und viel Gekicher. Das Video ging sofort viral. Journalisten spürten diese Anastassija dann auf.

Beide Frauen versicherten, das sei alles nicht ernst gemeint gewesen, aber es war schon zu spät, ihre Videos und Fotos verbreiteten sich in Windeseile, und ein Strom der medialen Empörung ergoss sich über sie. Die Journalisten suchten weiter und fanden Fälle, wo sich tatsächlich Frauen solche Zahlungen erschlichen hatten und nun mit den Eltern oder Geschwistern der gefallenen Soldaten um das Geld prozessierten. Eine Krankenschwester, die in einem Militärkrankenhaus angestellt war, soll sogar fünf derartige Scheinehen geschlossen haben, immer mit schwer verwundeten Soldaten, die aller Voraussicht nach nicht mehr lange zu leben hatten. Man befragte Angehörige, Freunde, Rechtsanwälte, und wochenlang erschienen in fast allen russischen Medien Berichte zu diesem Thema.

Noch einige Beispiele aus dem oben zitierten Artikel:

Die Familie des gefallenen Kämpfers Witali Pschenitschny aus dem Gebiet Tjumen prozessiert schon seit zwei Jahren gegen seine „Witwe“ Wiktorija, die er drei Tage vor seinem Tod heiratete. Niemand hatte diese Frau vorher gesehen – weder seine Freunde noch seine Familie, aber sie, und nicht seine Familie, erhielt die Orden des gefallenen Mannes und die Zahlungen. Und jetzt versucht sie vor Gericht, dem einzigen Sohn Witalis die ihm zustehende Hälfte des Geldes streitig zu machen.

In einer ähnlichen Situation ist die Familie von Iwan Nowopaschny aus dem Gebiet Swerdlowsk. Er heiratete im Urlaub eine gewisse Oksana, die er nur flüchtig kannte. Diese Frau hat vier Kinder und jetzt den Status „Witwe eines Kämpfers der Spezialoperation“ mit allen dazugehörigen Zahlungen und Vergünstigungen. Iwans leibliche Tochter geht leer aus.

Der Haken ist der, dass seit dem Frühjahr 2023 den Soldaten der Spezialoperation erlaubt ist, sofort am selben Tag zu heiraten statt wie üblich erst einen Monat nach der Antragstellung. Der Gesetzgeber hatte diese Änderungen mit den allerbesten Absichten vorgenommen – der Soldat sollte, bevor er an die Front ging, noch rechtzeitig eine Partnerschaft und Vaterschaft legalisieren können. Aber dadurch wurde die Büchse der Pandora für die „Eintagsfliegen-Ehefrauen“ geöffnet.

Wie weit solche Praktiken verbreitet sind und wie viele solcher Fälle es tatsächlich schon gegeben hat, bleibt unklar. Die „Komsomolskaja Prawda“ bemüht sich aber, den Ruf der russischen Frau nicht allzu sehr zu beschädigen. „Normale russische Frauen sind nicht so“, schreibt sie, und weiter:

Eine echte russische Frau schützt ihren Mann und fühlt mit ihm. Man sollte es umgekehrt machen – die Lebensgefährtinnen den offiziellen Ehefrauen rechtlich gleichstellen. Viele Männer schließen sich der Spezialoperation an und haben vorher keine Zeit mehr, die Frau zu heiraten, mit der sie schon lange zusammen sind und Kinder haben.

Zehn Jahre Gefängnis für „Schwarze Witwen“?

Ende August 2025 brachte die Liberaldemokratische Partei Russlands einen Gesetzesantrag ein, der vorsieht, solche Ehen als fiktiv und die Ehefrauen als Betrügerinnen einzustufen und hart zu bestrafen.

Die LDPR, gegründet 1992 von Wladimir Schirinowski, hat gegenwärtig 21 von 450 Sitzen in der Duma. Sie unterstützt die Putin-Partei „Jedinaja Rossija“ und ist noch nationalistischer und rückwärtsgewandter als diese.

Ich zitiere dazu aus einem Artikel der „Parlamentskaja Gaseta“:

Die Autoren der Initiative sind der Meinung, dass für solche fiktiven Ehen, wie sie seit Beginn der Spezialoperation gehäuft vorkommen, eine besondere strafrechtliche Verantwortung eine abschreckende Wirkung auf derartige Betrügerinnen haben wird. (…)

Die Gesetzesinitiative geht vom Straftatbestand des Betrugs mit dem Ziel der Erschleichung von Zuwendungen und Vergünstigungen aus und sieht dafür ein breites Spektrum an Strafen vor – bis zu Freiheitsstrafen von zehn Jahren und Geldstrafen von einer Million Rubel.

„An Niedertracht und Zynismus kann man die Machenschaften der ‚Schwarzen Witwen‘ auf dem Blut der gefallenen Kämpfer der Spezialoperation höchstens noch mit den Marodeuren der Leningrader Blockade vergleichen. Leider gibt es immer mehr solcher Vorfälle. Derartigen Betrug muss man mit glühendem Eisen ausmerzen, denn diese Unmenschen haben es darauf abgesehen, das Allerheiligste zu beschmutzen – die Sorge um die Familien der gefallenen Helden“, erklärte Sluzki.

Leonid Sluzki (*1968) ist seit 2022 Vorsitzender der LDPR, Nachfolger des im April 2022 verstorbenen Schirinowski. Er ist selber alles andere als „heilig“ – in drei Dokumentarfilmen, recherchiert und gedreht von Nawalnys FBK („Fonds zur Bekämpfung von Korruption“), wird u. a. die zweifelhafte Herkunft seiner zahlreichen teuren Immobilien beleuchtet. 2018 beschuldigten ihn mehrere Journalistinnen der sexuellen Belästigung. Es hat seiner Karriere in Putins Russland aber nicht geschadet.

Zehn Jahre und eine Million Rubel – ob diese Strafen wirklich eingeführt werden, bleibt abzuwarten. Zunächst dienen solche Ankündigungen wohl der Abschreckung. Andere Abgeordnete der Duma haben stattdessen vorgeschlagen, als Voraussetzung für die Zahlungen solle gelten, dass die Ehe seit mindestens drei Jahren bestehe; das sei einfacher und wirksamer als zu beweisen, dass es sich um eine fiktive Ehe handele.