Ende Oktober 2023 schickte Alexej Nawalny aus dem Gefängnis einen ausgefüllten Fragebogen an den bekannten Schriftsteller Boris Akunin, den dieser auf seiner Website veröffentlichte. Akunin lebt seit 2014 in London im Exil. Es waren Fragen, die er verschiedenen politischen Häftlingen gestellt hatte, vorwiegend unbekannten, denen er auf diese Weise Gehör verschaffen wollte, aber auch einigen bekannten, darunter Nawalny. Vier von den insgesamt zwölf Fragen und Antworten möchte ich zitieren.

Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia 2020, Foto: topnews.ru

Wie würden Sie sich selbst definieren? Wer sind Sie?

Von der Gefängnisverwaltung höre ich ständig den unzufriedenen Satz: „Hm, wie ich sehe, haben Sie heute ja offenbar richtig gute Laune …“. Deshalb ist es wahrscheinlich so: Ich bin ein politischer Gefangener, der sich sehr nach seiner Familie, seiner Arbeit und seinen Kollegen sehnt, aber trotzdem die gute Laune nicht verliert. Und außerdem bin ich natürlich ein Leser. Den größten Teil des Tages verbringe ich mit einem Buch in der Hand.

Woran glauben Sie?

An Gott und die Wissenschaft. Ich glaube, dass wir in einem nicht deterministischen Universum leben und über einen freien Willen verfügen. Ich glaube, dass wir in diesem Universum nicht allein sind. Ich glaube, dass unser Tun und Handeln einmal bewertet werden wird. Ich glaube an die wahre Liebe. Ich glaube daran, dass Russland glücklich und frei sein wird. Und ich glaube nicht an den Tod.

Was macht Ihnen die größten Sorgen?

Dass so viele Menschen sich weigern zu denken und dass sie die elementarsten kausalen Zusammenhänge nicht verstehen. Jedes Mal, wenn man mir so etwas sagt wie: „Auf mein Leben hat die Korruption keinen Einfluss“ oder „Mag sein, dass diese Leute sich die Taschen vollgestopft haben, aber es kommen ja doch immer wieder neue und fangen von neuem an zu klauen“, denke ich: Wie kann es sein, dass Hunderte Millionen Jahre der Evolution diesem Menschen ein bewundernswertes Hirn gegeben haben, er es aber nicht benutzt?

Was ist für Sie heute Russland?

Der Ort, an dem ich alle verstehe und mich zu Hause fühle. Das Land, wo man meine Sprache spricht und wo mein Volk lebt.

Ich bin imstande, Land und Regierung zu trennen, deshalb liebe ich Russland in den jetzigen dramatischen Zeiten genauso wie immer.

https://babook.org/posts/721

Alle Fragen und Anworten kann man auf Akunins Website „Babook“ im russischen Original lesen (siehe obigen Link).